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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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Honoratioren nicht im
Könitzschen Palais im Untermainkai, sondern in der Villa von Victorias
Schwägerin Gräfin von Tennitz zu verkehren pflegten. Schließlich konnte man nie
wissen, was der Herr Kommissar in
    geselliger
Runde alles ausplauderte und ob er sich nicht auf Kosten anderer ins rechte
Licht zu rücken versuchte.
    Richard
hatte nur ein einziges Mal an einem Treffen teilgenommen und sich furchtbar
unwohl gefühlt, aber das würde ihm ohnehin niemand abnehmen, deshalb erwähnte
er es erst gar nicht. Beck wollte nach oben, und dazu mußte er Erfolge
vorweisen. Und das war schwierig, wenn ein anderer die Ermittlungen führte.
Insofern war Francks Entscheidung wenig glücklich gewesen und Becks Ärger
verständlich. Trotzdem konnte Richard es nicht zulassen, daß der Jüngere ihn
vor Untergebenen und Vorgesetzten zum Narren machte.
    »Sie
dürfen mir glauben, daß ich bestimmt nicht vorhabe, Ihre Karriereplanung zu
durchkreuzen, Herr Beck«, sagte Richard freundlich. »Solange wir
zusammenarbeiten, sollten wir jedoch den Formalien Genüge tun.«
    Beck
murmelte etwas, von dem Richard annahm, daß es eine Entschuldigung war. Sie gaben
sich die Hand, und Richard hoffte, daß der Waffenstillstand bis zur Aufklärung
des Mordfalls halten würde.
    Als sie
abends ins Polizeipräsidium zurückkamen, hatten sie sämtliche Geschäftsleute
aus dem Haus und der Nachbarschaft vernommen, Zeitungsjungen, Ausfahrer,
Postboten und Passanten befragt, Abortfrauen und Bahnhofsfriseure, Bahnsteigwärter,
Droschkenkutscher und Trambahnfahrer in die Überprüfungen einbezogen. Am
späten Nachmittag waren die ersten polizeilichen Bekanntmachungen ausgehängt
worden, vor denen sich sofort diskutierende Menschentrauben gebildet hatten.
    Auch am
Eingang des Polizeipräsidiums war eins der Plakate angeschlagen, das eintausend
Mark Belohnung für die Ergreifung der Mörder auslobte. Beck verabschiedete
sich, Richard brachte die sichergestellten Unterlagen in sein Büro. Die Heizung
war abgestellt, an den Fensterscheiben lief Kondenswasser herunter. Er räumte
die Akte Pokorny & Wittekind beiseite und breitete seine Notizen auf dem
Schreibtisch aus. Dutzende
    von
Verhören, Überprüfungen und Sistierungen, und nicht der Hauch einer Spur! Er
warf einen Blick in Lichtensteins Kundenkartei. Beck hatte recht: Fast alles,
was in Frankfurt Rang und Namen hatte, war darin vertreten, auch die Familie
seines Schwagers und Cornelia Gräfin von Tennitz.
    Seufzend
stellte er den Kasten beiseite und schlug Lichtensteins Notizkalender auf. Für
den Februar enthielt er nur wenige Eintragungen, Theater- und Konzerttermine
zumeist, und vier abendliche Treffen in der Zeit zwischen dem fünfzehnten und
einundzwanzigsten: mit einem Herrn oder einer Frau H. Wilhelms, einem Frl.
Frick, und zweimal mit einer Person namens K. Hopf. Für den heutigen Abend war
das Konzert von Consolo vermerkt. Darunter stand: 20. Verlobungstag!
    Erst
auf den zweiten Blick sah Richard, daß die Punkte hinter der Zwanzig und unter
dem Ausrufezeichen winzige Herzen waren. Es fiel ihm schwer, sich den
geschäftstüchtigen Kaufmann Lichtenstein als einen Mann vorzustellen, der Herzen
in seinen Notizkalender malte. Gleichzeitig berührte es ihn auf eigentümliche
Weise. Er sah Lichtensteins Frau vor sich, wie der letzte Funken Hoffnung in
ihrem Gesicht erlosch. Und wie sie das Endgültige dennoch nicht wahrhaben
wollte. Er hat mir Nelken geschickt. Er kann nicht tot sein.
    Richard
fuhr sich übers Gesicht. Was mußte jemand empfinden, der einen Menschen auf
solch brutale Art umbrachte? Wut? Haß? Genugtuung? Oder einfach nur
Gleichgültigkeit, weil der Tod des Opfers die einzige Möglichkeit war, an sein
Geld zu kommen? Ein blutiger Fingerabdruck, der mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit
von einer weiblichen Person stammt... In seinem ganzen Dienstleben hatte er
nur drei Mörderinnen verhaftet: eine hatte ihr Kind im Waschzuber ertränkt,
weil es zuviel schrie, die anderen beiden hatten ihren Gatten Gift ins Essen
gemischt. Er nahm sich noch einmal die Kartei vor, aber die Schmerzen hinter
seiner Stirn wurden unerträglich. Zeit, nach Hause zu gehen. Obwohl er auch
dort keine Ruhe finden würde. Wie jedesmal, wenn er einen Mordfall bearbeitete.
    Die
Uhren schlugen Mitternacht, als er heimkam, und er war erstaunt, noch Licht im
Haus zu sehen. Louise nahm ihm Mantel und Hut ab. »Möchten Sie einen Tee? Oder
etwas essen?«
    Richard
schüttelte müde den Kopf. »Danke, Louise. Ich gehe

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