Hahn, Nikola
als wolle es jeden Moment vornüber in die
Gasse fallen. Zwei abgetretene Steinstufen fährten zur Haustür. Eine
schmiedeeiserne Lampe an der bröckelnden Fassade spendete spärliches Licht.
»Hätte
Sie mal gleich gesacht, daß Se zum Häusi von der Müllerin wolle.«
»Müllerin?«
fragte Laura bestürzt. »Man sagte mir, daß hier ein Herr Braun wohnt! Und daß
seine Frau Zimmer vermietet.«
Der
Mann stellte den Koffer ab. »Die Müllerin is halt die Müllerin. Auch wenn se
die Frau Braun is. Wisse Sie, des is nämlich so...«
»Haben
Sie herzlichen Dank für Ihre Mühe«, unterbrach ihn Laura.
Er
küßte ihre Hand und war kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden. Laura
schellte. »Ich habe mich entschlossen, Ihr Angebot anzunehmen«, sagte sie, als
Heiner Braun öffnete.
Er
lächelte. »Der Uhrzeit nach zu urteilen, haben Sie ein Weilchen mit der
Entscheidung gerungen.«
Sie
folgte ihm in den dunklen Flur. »Ich mußte erst einmal herfinden.«
Heiner
Braun nahm ihr den Mantel und den Hut ab und bat sie in die Stube, die gerade
Platz für eine Eßecke, ein Sofa, zwei Sessel, Beistelltischchen, Stehlampe und
Büffet bot. Über dem Sofa hingen gerahmte Photographien und vor den Fenstern
sonnengelbe Vorhänge, die dem Zimmer etwas Fröhliches gaben. Laura bereute es,
ihren Mantel ausgezogen zu haben, denn der Raum war ungeheizt. Sie stellte
ihren Koffer ab und setzte sich.
»Möchten
Sie einen Tee oder Kaffee?« fragte Heiner.
»Einen
Tee, bitte.«
Er
verschwand nach nebenan. Ein warmer Luftzug streifte sie, und sie war versucht,
ihm einfach hinterherzugehen.
»Guten Abend«,
sagte eine weibliche Stimme in ihrem Rücken. Die Frau trug ein schwarzes Kleid,
hatte graues, zu einem Knoten gestecktes Haar und mochte Anfang sechzig sein.
»Ich bin Helena Braun.«
Laura
gab ihr die Hand. »Laura Rothe. Ich traf Ihren Mann im Polizeipräsidium. Er
sagte, daß ich hier ein Zimmer bekommen kann.«
»Liebes
Kind! Sie haben ja ganz kalte Hände!«
»Ich
mußte im Präsidium recht lang warten.«
»Haben
Sie wenigstens etwas gegessen?«
»Seit
meiner Abfahrt in Berlin nicht.«
»Ich
habe noch Zitronensuppe und gebackenes Weißkraut vom Mittag - wenn Sie möchten,
stelle ich es für Sie auf.«
Laura
lief das Wasser im Mund zusammen. »Bitte machen Sie sich keine Umstände.«
»Papperlapapp.«
Helena Braun ging nach nebenan. Laura hörte sie mit ihrem Mann reden. Sie
schienen über irgend etwas uneins zu sein. Kurz darauf brachte Heiner den Tee.
»Ich
muß gestehen, daß ich nicht mehr damit gerechnet hatte, daß Sie noch kommen«,
sagte er. »Sonst hätte ich die Stube angeheizt. Wir benutzen sie nur selten.«
Laura
umschloß die Tasse mit beiden Händen. Der Geruch von Pfefferminze stieg ihr in
die Nase. »Das macht nichts. Ich werde ohnehin gleich zu Bett gehen.«
»Dann
will ich wenigstens in Ihrem Zimmer für etwas Wärme sorgen.«
Laura
nickte. »Ich hoffe, Sie haben meinetwegen keine Unannehmlichkeiten.«
»Ach
was. Helena meinte nur, daß es ungehörig sei, einen Gast zum Essen in die Küche
zu bitten.«
»Und
welche Meinung vertreten Sie?«
»Besser
einfach gewärmt als vornehm gefroren.«
Laura
lächelte. »Sagen Sie Ihrer Frau, ich bin es gewohnt, in der Küche zu essen.«
Er
betrachtete ihren Koffer. Er war aus feinstem Leder. »Helena hat einen Blick
für die kleinen Dinge.«
»Der
Koffer war das letzte Geschenk meines Vaters, bevor er «eine finanziellen
Zuwendungen an mich einstellte. Sie haben hoffentlich nichts dagegen, wenn ich
der Wärme Ihres Küchenofens den Vorzug vor der Etikette gebe?«
»Ich
nicht«, sagte er grinsend.
»Ihre
Frau werde ich schon zu überzeugen wissen.«
Als
Heiner Braun eine halbe Stunde später in die Küche kam, saßen die beiden Frauen
plaudernd am Tisch. Vor Laura stand ein leerer Teller. Sie lächelte. »Ich habe
Ihrer Frau gerade gesagt, daß ich heute die beste Zitronensuppe meines Lebens
gegessen habe.«
»Wenn
man Hunger hat, schmeckt alles gut«, wiegelte Helena ab.
»Warum
so bescheiden, meine Liebe?« sagte Heiner. »Deine Kochkünste waren der
maßgebliche Grund, warum ich dich überhaupt geheiratet habe.« Er nahm ihre Hand
und küßte sie. »Es gab da zwar noch die eine oder andere zusätzliche Erwägung,
die jedoch gegen einen gutgefüllten Magen kaum ins Gewicht fiel.«
Helena
lachte. »Du bist der unmöglichste Mensch, den ich kenne!« Sie sah Laura an.
»Als er mir zum ersten Mal begegnete, schwebte er zwischen Leben und Tod
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