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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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gleich zu Bett. Bitte wecken
Sie mich um halb sechs.«
    »Ich
bringe Ihnen gerne etwas auf Ihr Zimmer.«
    »Gehen
Sie ruhig schlafen.«
    »Ich
habe Ihrer Frau versprochen, Sie zu ihr zu schicken.«
    »Victoria
ist noch wach?«
    »Sie
wartet in ihrem Schlafzimmer auf Sie.«
    Mit
gemischten Gefühlen ging Richard nach oben. Er schämte sich für sein Verhalten
von gestern abend, aber für eine Aussprache fehlte ihm der Sinn. Unter
Victorias Schlafzimmertür schimmerte Licht; auf sein Klopfen blieb es ruhig.
Leise öffnete er die Tür. Victoria lag auf ihrem Bett und schlief. Sie trug das
seidene Nachtkleid, das er ihr zum fünfundvierzigsten Geburtstag geschenkt
hatte. Unter ihrem rechten Arm sah er ein Buch; er zog es weg und lächelte.
Grillparzers Dramen. War das etwa die passende Lektüre für eine Versöhnung?
Bedacht darauf, sie nicht zu wecken, deckte er sie zu. Wie jung und schön sie
aussah. Er dagegen fühlte sich alt und ausgebrannt. Zärtlich strich er ihr eine
Locke aus dem Gesicht.
    »Ich
liebe dich«, flüsterte er und löschte das Licht.
     
    Bekanntmachung.
    1000 Mark Belohnung.
    Der 52j ä hrige Kaufmann
    Hermann Lichtenstein,
    Inhaber der Pianoforte-Handlung und
-Leihanstalt, ist heute Mittag 1272 Uhr in seinen Gesch ä ftsr ä umen Zeil 69
    ermordet und beraubt
    worden. Den T ä tern ist eine gr öß ere Summe Bargeld in die H ä nde gefallen.
    F ü r die Ermittelung der
T ä ter ist obige Belohnung ausgesetzt und werden
diejenigen Personen, welche in der Angelegenheit irgend welche Aufkl ä rung geben k ö nnen, ersucht, sich
sofort auf Zimmer 49 des Polizeipr ä sidiums zu melden.
    Frankfurt a. M., den 26. Februar 1904.
    Der Polizei-Pr ä sident:
    i.V. von Wehrs
     
     
    Kapitel
4
     
    Samstag,   27.Februar 1904
    Morgenblatt                              
    Frankfurter
Zeitung und Handelsblatt
     
    Richtermangel
und übertriebene Sparsamkeit in Preußen. Auf
die fachlichen Beschwerden des Frankfurter Landtagsabgeordneten Deser über den
in Frankfurt a.M. herrschenden Richtermangel hat in der Sitzung des
Abgeordnetenhauses der Justizminister Herr Schönstedt ruhig und sachlich und
mit einer ganz unverkennbaren Resignation geantwortet. Ultra posse nemo
obligatur, was in meinen Kräften steht, will ich aber tun. Die Erfolge meiner
Bestrebungen liegen nicht immer in meiner Macht. Manches geht über meine Kraft.
Diese resignierte Erklärung des Hüters der preußischen Rechtspflege enthüllt
Dinge, die das höchste Bedenken wachrufen müssen.
    Der
Raubmord auf der Zeil. Die Sektion der
Leiche wird heute Nachmittag um 2 Uhr auf dem Frankfurter Friedhof durch den
Gerichtsarzt Dr. Roth in Gegenwart des Ersten Staatsanwaltes, Geh. Justizrat v.
Reden, und des Amtsgerichtsrates Dr. Menzen vorgenommen. Die Polizei ist
selbstverständlich eifrig auf der Suche nach den Verbrechern.
    Die
Schlierseer. Im Orpheum veranstalteten
gestern die Schlierseer einen Einakterabend, der im ganzen sehr erfolgreich
verlief. Zwar wirkte das erste Stück »Er hat etwas vergessen« mit seiner künstlichen
Naivität und Sentimentalität etwas matt, aber »Der blaue Teufel«, eine humorvolle
Episode aus dem 70er Krieg, erweckte, dank der kernigen Art des Xaver Terofal,
stürmische Heiterkeit.

    E ntgegen dem Rat von Heiner Braun war Laura Rothe entschlossen,
auf die Rückkehr von Polizeirat Franck zu warten. Auf dem Flur war es zugig
und eiskalt. In regelmäßigen Abständen kamen Schutzleute die Treppe herauf, um
kurz darauf unverrichteter Dinge wieder zu verschwinden. Anscheinend hatten
die beiden Wachbeamten nichts Besseres zu tun gehabt, als bis in den letzten
Winkel des Polizeipräsidiums hinauszuposaunen, daß vor Francks Büro die neue
Polizeiassistentin aus Berlin herumsitze. Anders waren die verstohlenen Blicke
und verlegen gemurmelten Begrüßungsfloskeln der Männer kaum zu deuten. Laura
begegnete ihnen mit unbewegter Miene.
    Nach
einer halben Stunde zog sie ihren Mantel an, nach einer Stunde war sie so
durchgefroren, daß sie sich nur noch wünschte, ihre Hände über einem Kaminfeuer
wärmen zu dürfen. Mit allem hatte sie gerechnet: von unverbindlicher Freundlichkeit
bis hin zu offener Ablehnung, aber bestimmt nicht damit, daß man sie
schlichtweg vergaß! Ein schöner Empfang war das! Und wenn der Empfang schon so
dürftig war - wer mochte wissen, was noch alles kam?
    Als sie
von der Bank aufstand, hatte sie das Gefühl, ihre Füße Seien aus Eis. Ihr Magen
knurrte, und ihr Kopf tat weh.

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