Hahn, Nikola
Ihnen
bekannt, daß Herr Lichtenstein
mit
einigen seiner Kunden Scheinverträge abgeschlossen hat?«
Der
Auslaufer sah Richard mit offenem Blick an. »Ja. Nur erlauben Sie mir die
Anmerkung, daß ich den Begriff Scheinvertrag nicht zutreffend finde, denn alle
diesbezüglichen Kontrakte sind rechtlich einwandfreie Vereinbarungen. Lediglich
aus Diskretionsgründen wurden in dem einen oder anderen Fall zusätzliche
Papiere ausgefertigt, die jedoch ausschließlich zum Privatgebrauch der Kunden
gedacht waren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das in irgendeinem Zusammenhang
mit dem Mord steht.«
Richard
war sicher, daß Schick auch über seinen Vertrag Bescheid wußte. Die Frage war,
warum er schwieg. Aus Taktgefühl? Oder weil er zu gegebener Zeit seinen
Vorteil daraus ziehen wollte?
»Das
einzige, worum ich Sie bitte, ist, seine Frau zu schonen«, sagte er, als habe
er Richards Gedanken erraten. »Es geht ihr sehr schlecht.«
»Sie
können sich darauf verlassen, daß ich nur tun werde, was unverzichtbar ist.
Allerdings erwarte ich, daß Sie mir alles sagen, was Ihnen zu der Sache noch
einfällt, wie unbedeutend es Ihnen auch erscheinen mag.«
»Ja,
Herr Kommissar.« Anton Schick stand auf und verabschiedete sich. Selbst in
seinem Händedruck schien Trauer zu liegen. »Bitte, glauben Sie mir: Herr
Lichtenstein war ein guter Mensch.«
Richard
wünschte sich wirklich, daß es so war.
Er
stellte gerade die Informationen für den Tagesbericht zusammen, als Kommissar
Beck hereinkam. Er hatte eine Zeitung unter den Arm geklemmt. »Ich habe
interessante Neuigkeiten.« »Ich auch«, entgegnete Richard. »Aber Sie zuerst.«
»Laut Mitteilung von Schutzmann Bunde vom Ersten Revier erschien gestern
vormittag gegen elf Uhr, also keine zwei Stunden vor dem Mord, ein Mann im
Seilergeschäft Frey in der Fahrgasse, der sich als Handwerker ausgab und ein
drei Meter
langes
Seil verlangte, das er angeblich für technische Zwecke brauchte. Weil er den
Kaufpreis von dreißig Pfennig nicht passend und Frau Frey nicht genügend
Wechselgeld hatte, schickte sie ihn in die gegenüberliegende Metzgerei. Kurz darauf
kam der Mann zurück und bezahlte mit Kleingeld. Bundes Nachfrage in der
Metzgerei und in den umliegenden Geschäften ergab jedoch, daß er nirgends zum
Wechseln gewesen ist. Bunde hat das restliche Seil aus dem Laden herbringen
lassen, und ich habe es mit dem am Tatort sichergestellten verglichen: Beide
haben die gleiche Farbe und Beschaffenheit. Und das Stück, das Lichtenstein um
den Hals hatte, ist exakt drei Meter lang.«
»Konnte
Frau Frey den Kunden beschreiben?« Beck nickte. »Sie sagt, er sei etwa
dreiundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt, um einen Meter achtzig groß,
blondhaarig, schlank und für einen Handwerker viel zu elegant gekleidet
gewesen.« Er lächelte. »Da aufgrund der
Tatumstände davon auszugehen ist, daß sich die Mörder in den Geschäftsräumen Lichtensteins bestens auskannten, hatte ich zwei Beamte gebeten, Personen
und Firmen aufzusuchen, die mit Lichtenstein in Geschäftskontakt standen,
vorrangig Klaviertransporteure. Aus Lichtensteins Unterlagen geht hervor, daß
er die meisten Transporte von der Firma Schrimpf & Co durchführen
ließ. Alle Arbeiter der Firma wurden inzwischen befragt, bis auf einen, dem
Mitte Januar gekündigt wurde.« »Oskar Bruno Groß«, sagte Richard. Beck sah ihn
verblüfft an. »Woher wissen Sie das?« Richard berichtete, was er von Anton
Schick erfahren hatte. »Groß ist blond, siebenundzwanzig Jahre alt, gelernter
Metzger und stammt aus Werdau in Sachsen«, sagte Beck. »Er hat zwei Jahre lang
bei Schrimpf & Co gearbeitet und wurde nach übereinstimmenden Aussagen
seines Arbeitgebers und seiner Kollegen anfangs als tüchtiger und fleißiger
Mitarbeiter geschätzt. Mit der Zeit sei er jedoch nachlässig geworden, habe
»Seinen Lohn am Spieltisch durchgebracht und immer öfter in heruntergekommenen
Varietes und zwielichtigen Etablissements verkehrt. Nach einem Griff in die
Trinkgelderkasse wurde er entlassen.«
»Und wo
ist er jetzt?«
»Laut
Einwohnermelderegister war er in Frankfurt nie wohnhaft. Seinem Chef sagte er,
er habe ein Zimmer in der Eulengasse in Bornheim, was aber nicht stimmt. Einer
der Arbeiter erinnerte sich, ihn nach einem gemeinsamen Trinkgelage in die
Rohrbachstraße begleitet zu haben. Nachforschungen ergaben, daß er tatsächlich
dort wohnt, allerdings unter dem Namen Oskar Koobs. Seit gestern morgen ist er
spurlos
Weitere Kostenlose Bücher