Hahn, Nikola
eine Vorliebe für zwielichtige Etablissements, Hopf auch. Groß war bei
Lichtenstein, Hopf war bei Lichtenstein. Zilly war bei Lichtenstein. Zilly und
Groß waren am gleichen Tag bei Lichtenstein. Lichtenstein und Hopf waren am
gleichen Tag bei Zilly. Zillys Chefin war Signora Runa. Hopf wußte, wer Signora
Runa war. Und Hopf wußte, daß Signora Runa wußte, daß er in der Sache Pokorny
& Wittekind ermittelte.
Richard
fuhr sich übers Gesicht. Seine Gedanken fuhren Karussell, und er hatte keine
Ahnung, wie er es zum Anhalten bringen sollte. Es klopfte, und er schlug das
Notizbuch zu. »Ja, bitte?«
Ein
Mann kam herein. Er trug ein buntes Hemd unter einem schwarzen Gehrock und
einen dunkelgrauen Filzhut. In der Hand hielt er eins von Becks
Fahndungsplakaten. »Könnten Sie mir erklären, was das soll?«
»Könnten
Sie mir bitte zuerst erklären, wer Sie sind?« sagte Richard.
»Ich
heiße Oskar Bruno Groß, und ich frage mich, wer Ihnen das Recht gibt, mich wie
einen Verbrecher suchen zu lassen!«
Kapitel
8
Abendblatt
29.
Februar 1904
Frankfurter
Zeitung und Handelsblatt
Raubmord
auf der Zeil. Die Polizei ist fast noch
schweigsamer geworden; jetzt allerdings, wo die Netze sich immer enger
zusammenziehen, ist das Schweigen eher verständlich. Gestern erstreckten sich
die polizeilichen Nachforschungen insbesondere auf Bockenheim. Man suchte ganz
bestimmte Persönlichkeiten, fand sie aber nicht.
Auf
Anordnung der Staatsanwaltschaft wurden gestern die Räumlichkeiten Zeil 69
photographisch aufgenommen.
Nach
neuerer Bestimmung wird Hermann Lichtenstein Dienstag Vormittag 11 Uhr auf dem
Frankfurter Friedhof beigesetzt. Die Leichenrede hält Pfarrer Battenberg.
Aus dem
Zivilstands-Register des Standesamts-Bezirks Frankfurt a. M.
I.Verstorbene.
20. Febr.: ERNST, Friedrich,
Taglöhner,
ledig, 35 J., Reineckstr. 23
26. Febr.: BORMET, Barbara Christiane,
geb. Beiz,
Witwe, 71J., Gartenstr. 229
27. Febr.: MIETH, Friedrich
Gustav Adolf,
Taglöhner, ledig, 31J., Markt 19, REUß, Eli
sabeth Dorothea, 1J., Kl. Eschenheimerstr.
19, GRANL, totgeb. Sohn, Burgstr. 126
28.Febr.: LUDWIG, totgeb. Sohn,
Kl.
Hochstr. 20, EBREU, Franz Xaver, Pfründner,
Witwer, 83 J., Hammelsgasse 1, STAHL, tot
geb. Sohn, Gr. Fischergasse 8, BÄUMER, Edu
ard, Kaufmann, verh., 35 J., Münzgasse 7,
BOUENGEL, Georg, 1J., Schönstr. 7
29.Febr.: HEROLD, Elise, geb.
Grein, 24 J,
Langestr. 4.
Frankfurter
Stadttheater.
Dienstag,
den 1. März. Opernhaus. »Die verkaufte Braut«, 7 Uhr.
A ls Laura Rothe zum Dienst kam, war sie müde und gereizt. Der
gestrige Abend hatte so nett begonnen: Helena fühlte sich wieder gut, sie
hatten zusammen gegessen und in der Stube bei einem Glas Wein über Heiners
Altfrankfurter Anekdoten gelacht - bis ein Bote vom Polizeipräsidium die
schlimme Nachricht überbracht hatte.
Laura
war mit Heiner ins Krankenhaus gefahren, und sie wußte nicht, was sie mehr
erschreckt hatte, Anna Fricks wächsernes Gesicht oder der Anblick ihrer
bandagierten Arme. Plötzlich lag sie selbst in diesem Bett, und sie fühlte den
Schmerz, den körperlichen und den anderen, der mehr weh tat, weil er von innen
kam. Heiner Braun hatte sie nur angesehen und nichts gesagt, und sie war ihm
dankbar dafür. Sie waren fast zwei Stunden geblieben, aber Anna Frick war
nicht aus der Bewußtlosigkeit erwacht. Der Arzt konnte nicht einmal sagen, ob
sie die Nacht überleben würde.
Vom
Krankenhaus aus war Laura ins Polizeipräsidium gegangen, hatte mit Paul
Heusohn, danach mit Kommissar Beck gesprochen, und sie schämte sich, daß sie
die Kontrolle verloren hatte. Mit versteinertem Gesicht hatte Beck ihren
Wutausbruch ertragen und sie dann darum gebeten, Kommissar Biddling zu
verständigen.
»Guten
Morgen, Polizeiassistentin«, sagte Martin Heynel, als Laura ins Büro kam. Sein
Blick wanderte über ihr graues Kleid, die weiße Schürze, das gestärkte Häubchen
auf ihrem Kopf. »So ernst brauchen Sie Ihre morgendliche Assistenz auch wieder
nicht zu nehmen, daß Sie in Schwesterntracht erscheinen.«
»Meine
Dienstbekleidung wurde von Herrn Polizeirat Franck angeordnet.«
Er
grinste. »Wie ich Ihrer Miene entnehme, hat ihm das keine Sympathien
eingebracht.«
»Wo ist
Herr Kommissar von Lieben?«
»Auf
Frühermittlung unterwegs.«
»In
welcher Angelegenheit denn?«
»In
einer arg dringlichen.«
»Danke
für die erschöpfende Auskunft, Oberwachtmeister!«
»Haben Sie
schlecht geschlafen?« fragte er amüsiert. Er nahm den
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