Hahn, Nikola
lassen
würde. Sie fing an zu weinen. »In meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas
Unrechtes getan, Herr Kommissar!«
»Die
Untersuchungen dienen dazu, Sie zu entlasten, Fräulein Koobs«, sagte Richard
freundlich. »Ich verspreche Ihnen, daß niemand etwas erfahren wird - vorausgesetzt
natürlich, Sie haben mir die Wahrheit gesagt.«
»Das
habe ich ganz gewiß.« Sie zog ein Taschentuch aus ihrem Kleid und tupfte sich
die Tränen ab. »Sie glauben nicht wirklich, daß Bruno Herrn Lichtenstein
ermordet hat, oder?« Sie zerknüllte ihr Taschentuch. »Diese ungeheuerlichen
Dinge, die
in der
Zeitung stehen... Er könnte so etwas Schreckliches doch niemals tun!«
Richard
nickte. Er telephonierte mit dem Erkennungsdienst, danach mit der Wache. Kurz
darauf holte ein Wachmann Elisa Koobs ab.
»Ich
glaube nicht, daß sie etwas damit zu tun hat«, sagte Paul Heusohn.
»Ich
auch nicht«, stimmte Richard zu. »Aber jede Hypothese bedarf der Begründung.
Haben Sie Frau Frey erreicht?«
»Sie
versprach, sofort nach Geschäftsschluß herzukommen.«
Richard
seufzte. »Ich hoffe, daß sie ein gutes Erinnerungsvermögen hat.« Er verpackte
Groß' Hose, schrieb einen Untersuchungsauftrag und bat Paul Heusohn, dafür zu
sorgen, daß beides schnellstmöglich zu Dr. Popp gebracht wurde.
Eine
Stunde später führte Richard die Inhaberin des Seilergeschäfts in sein Büro.
Die Spannung im Raum war körperlich fühlbar. Niemand sagte ein Wort. Die Frau
blieb vor Bruno Groß stehen und sah ihn nachdenklich an.
»Könnten
Sie mir verraten, was das soll?« fragte er ungehalten.
»Halten
Sie gefälligst den Mund!« sagte Beck.
Die
Frau zuckte die Schultern und ging mit Richard hinaus. »Es tut mir leid, Herr
Kommissar. Den Herrn habe ich noch nie gesehen.«
Richard
hatte Mühe, seine Bestürzung zu verbergen. »Sind Sie sicher?«
»Ja. Der
Kunde, der das Seil gekauft hat, war zwar auch blond, aber schlanker, größer
und jünger.« Sie lächelte. »Und eine Ecke hübscher als der da drin.«
Als
Richard ins Büro zurückkam, grinste Groß. »Kann ich jetzt endlich gehen?«
Richard
sah Becks Miene an, daß er das gleiche dachte wie er: Wenn sie ihn laufen
ließen, wäre er innerhalb kürzester Zeit aus der Stadt verschwunden.
»Sie
haben kein Recht, mich länger festzuhalten!« sagte Groß.
»Das
werde ich jetzt klären«, sagte Richard. In Becks Büro ließ er sich mit
Justizrat von Reden verbinden. Schweigend hörte sich der Staatsanwalt Richards
Ausführungen an.
»Er ist
also freiwillig bei der Polizei erschienen?«
»Ja«,
sagte Richard.
»Die
Angaben von Fräulein Koobs über die Herkunft des Geldes sind glaubhaft?«
»Soweit
ich das derzeit beurteilen kann: Ja.«
»Ob es
sich bei den Anhaftungen an der Hose um Blut handelt, steht nicht fest?«
»Näheres
müssen entsprechende Untersuchungen ergeben.«
»Wurden
irgendwelche Beweismittel gefunden? Das Mordwerkzeug? Gegenstände aus der
Beute?«
»Nein.«
»Bleibt
also im Moment nur, daß Groß vermutlich bezüglich dieses Schumann gelogen, in
Werdau ein paar Diebstähle begangen und seit Freitag außer Haus übernachtet
hat.«
»Im
Prinzip, ja.«
»Das
ist nicht allzuviel.«
»Ich
weiß.«
»Darf
ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Herr Biddling?«
»Bitte.«
»Halten
Sie ihn für fähig, den Mord begangen zu haben?«
»Ja«,
sagte Richard. »Aber er hat es nicht allein getan.«
»Sagen
Sie ihm, ich werde einen Untersuchungshaftbefehl beantragen.«
Groß
tobte, als er es erfuhr. Zusammen mit einem Wachmann führte Beck ihn ab. Laura
Rothe ordnete das Protokoll. »Ich möchte anmerken, daß das kleine i springt,
Herr Kommissare-Trotz der angespannten Situation mußte Richard lächeln. »Danke
für Ihre Hilfe, Fräulein Rothe. Grüßen Sie Braun von mir.«
Sie
nickte und ging. Richard war gerade im Begriff, das Licht zu löschen, als es
klopfte. Ein Mann kam herein, und Richard dachte, sein Herz bleibe stehen.
»Guten Abend,
Herr Kommissar«, sagte Hermann Lichtenstein.
Kapitel
9
Morgenblatt
Dienstag, 1. M ä rz 1904
Frankfurter
Zeitung und Handelsblatt
Raubmord auf der Zeil. Der Klaviertransporteur
Bruno Groß hat sich der Polizei gestellt. Wir hatten berichtet, daß ein
Transporteur - wir kannten den Namen, nannten ihn aber nicht - gesucht werde.
Die Untersuchung muß ergeben, ob er etwas mit der Mordaffäre zu tun hat.
Wir teilen noch das Verzeichnis der
Gegenstände mit, die von der Leiche Lichtensteins geraubt wurden: eine
Weitere Kostenlose Bücher