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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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Ihnen zu helfen!«
    »Das
letzte und oberste Appellationsgericht in Sachen Kriminalistik beliebt zu
schweigen?« konterte Richard. »Eine vernünftige Entscheidung. Rückwärts denken
kann ich auch allein.«
    »Sieh
an! Du warst heimlich an meinem Bücherschrank, obwohl du immer behauptest...»
    »Ich
wollte endlich wissen, welche genialen Schachzüge dein einziger nicht beamteter
Detektiv anzubieten hat.«
    »Einziger
nicht beamteter beratender Detektiv.«
    »Würdest
du morgen bitte einige Besorgungen für mich erledigen?«
    »Gern.
Was denn?«
    »Ich
benötige eine Bruyere-Pfeife, ein Saffian-Etui, eine siebenprozentige
Kokainlösung und ein Handtuch für meine gerunzelte Stirn. Ferner ein
überheiztes Zimmer, in dem ich Löcher in die Luft starren kann, bis mir mein
deduktiver Scharfsinn den Namen des Mörders einträufelt. Falls es zufällig der
Kutscher ist, bestelle ihn bitte für punkt acht Uhr hierher, damit ich nicht
aus meinem Lehnstuhl aufstehen muß, wenn ich ihn verhafte.«
    »Du
hast überhaupt keine Ahnung! Du bist
    »Weise
und erfolgreich. Weshalb ich im Gegensatz zu meinem Kollegen Lestrade von
Scotland Yard darauf verzichte, die Sache in der Baker Street 221B
vorzutragen.«
    Sie
schimpfte, er fing an zu lachen, und die Unterhaltung
    mündete
in eine Kissenschlacht, die erst zu enden pflegte, wenn Vicki ins Zimmer tapste
und sich verschlafen die Augen rieb. Kindisch hatten sie sich benommen, ganz und
gar unmöglich. Nach dem Umzug in den Untermainkai war es damit vorbei gewesen.
    Victoria
stellte das Lexikon in den Schrank zurück, in dem ihre Detektivromane standen.
Deutschsprachige Ausgaben wechselten mit englischen und französischen, dicke
mit dünnen, ledergebundene mit broschierten Bänden. Obenauf lagen zwei
Zeitungen. The Tauchnitz Magazine, March 1892. The Strand Magazine, April
1901.
    Mit der
einen hatte Heiner Braun ihre Leidenschaft für Sherlock Holmes geweckt, mit der
anderen hatte Richard sie zerstört.
    Victoria
ging zu ihrem Schreibtisch. Das mit Intarsien und Bronzebeschlägen verzierte Bureau
plat war mit Büchern vollgestellt. Sie schob sie beiseite und setzte sich. Damit du mich nicht vergißt, kleine Schwester. Dreiunddreißig Jahre war
es her, seit ihr ältester Bruder Ernst nach Ostindien abgereist war, aber
jedesmal, wenn sie an dem schweren Möbel Platz nahm, sah sie ihn wieder vor
sich: ein nachdenklicher junger Mann, der ihr zum Abschied übers Haar strich
und versprach, bald zu schreiben.
    Sie zog
eine Schublade auf und nahm seinen letzten Brief heraus.
    Poona,
den 3.Januar 1904 Liebste Victoria!
    Wir
werden alt, wenn die Erinnerung uns zu freuen beginnt. Wir sind alt, wenn sie
uns schmerzt. Zwei Tage, bevor ich Deinen Brief bekam, ließ ein Besucher aus
Berlin eine Zeitschrift hier, in der ich diese Worte fand. Der Verfasser
heißt-Sirius! Ich mag nicht glauben, daß das ein Zufall ist. Erinnerst Du Dich
an das Märchen, das uns Großmama vor so unendlich langer Zeit erzählte? Draußen
schneite es, und wir saßen zu ihren Füßen vorm Kamin. Noch heute höre ich
    ihre
geheimnisvoll flüsternde Stimme und das knackende Holz, sehe ihr silbernes Haar
im Schein des Feuers glänzen. Es gibt ein Licht in der Nacht, das dem Wanderer
Erinnerung, und dem, der bleibt, eine Hoffnung ist: der Stern Sirius im Zeichen
des Großen Hundes, den man von fast jedem Ort der Welt aus sehen kann... So
fing die Geschichte an. Und Du hast gegähnt und gesagt: Ach, Großmama, was soll
ich mit einem dummen Stern? Erzähl mir lieber von den wilden Räubern in den
schaurigen Gängen unter der Stadt! Ob es in Indien Ritter gibt, hast Du mich
in Deinem ersten Brief gefragt, weißt Du noch? Und ob ich mit Asha in einer
Lehmhütte wohne!
    In all
den fahren sind Deine Briefe stiller und ernster geworden, erwachsen wie die
elegante, gutaussehende Frau auf der beigelegten Photographie. Darf ich ehrlich
sein? Bei aller Schönheit sieht sie ein bißchen verloren aus... und außerdem -
höchster Tadel, liebste Schwester!- hat sie mich mit meiner Neugier wieder
einmal allein gelassen, und so hoffe ich, daß Du mir im nächsten Brief endlich
verrätst, welches Buch Du gerade liest.
    »Verzeihen
Sie bitte...« Victoria ließ den Brief sinken. Tessa zuckte bedauernd die
Schultern. »Ich weiß, daß Sie beim Lesen ungern gestört werden, aber unten
wartet ein Herr, der Sie dringend zu sprechen wünscht.«
    »Hat er
gesagt, in welcher Angelegenheit?«
    Tessa
händigte Victoria eine Visitenkarte aus. »Nein,

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