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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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der sein Handwerk beherrscht.«
    »Das
beste wäre, du würdest den Kram selbst machen.«
    »Damit
du von meinem Geld nichtsnutzig in den Tag hineinleben kannst? Nicht mit mir!
Dein Lebensstil gefällt mir schon lange nicht mehr.«
    »Spar
dir die obligate Frage, wann ich endlich zu heiraten gedenke.«
    »Wie
soll eine Familie gedeihen, wenn sich ihre Mitglieder weigern, ihre Pflicht zu
tun!«
    Es war
nicht die erste Auseinandersetzung zwischen den beiden, und Victoria wußte,
was folgen würde: die immer gleichen Vorwürfe eines verbitterten alten Mannes,
der einfach nicht begreifen konnte, daß seine Kinder andere Vorstellungen vom
Leben hatten als er. Sie wollte gerade weitergehen, als Flora die Treppe
herunterkam.
    »Malvida
hat's gut«, sagte sie gähnend. »Sie darf schlafen, und ich muß in die dumme
Schule.«
    Victoria
strich ihr übers Haar. »Wer es im Leben zu etwas bringen will, muß tüchtig
lernen.«
    »Louise
sagt, Mädchen brauchen das nicht.«
    »Louise
hat keine Ahnung.«
    »Wenn
ich groß bin, werde ich Aeronautin wie Miss Polly, und dafür muß ich bestimmt
kein Französisch können!«
    »Und
wie willst du dich mit den Leuten unterhalten, wenn du mit deinem Ballon in
Paris landest?«
    »Ich
sag' guten Tag und fahre weiter nach Österreich: Comment allez-vous?J'aime
bien la Alpes. Où est Vienne?«
    Victoria
lachte. »Les Alpes, du Meisterin. «
    »Wann
kriege ich endlich mein Fahrrad?«
    »Wenn
du in Geographie gelernt hast, daß Wien nicht in den Alpen, sondern in der
Donauniederung liegt.«
    Flora
zog einen Schmollmund und ging ins Frühstückszimmer. »Guten Morgen«, sagte sie
zu ihrer Schwester, die schon am Tisch saß.
    »Guten
Morgen, Florchen«, erwiderte Vicki. »Warum schaust du denn so beleidigt?«
    »Ich
habe es gewagt, ihre Französischkenntnisse in Zweifel zu ziehen«, sagte Victoria
und nahm Platz. Ein Mädchen goß ihr Kaffee ein.
    Flora
zeigte auf ihr Gedeck. «Une assiette, une tasse, une cuillère ä cafe.«
    » Vous pouvez me passer le pain, s 'il vous plait?« fragte
Victoria.
    »Was?« fragte Flora.
    Vicki gab ihrer Mutter den Brotkorb. »Vous voulez
encore de la saucisse?«
    »Oui, je veux bien. Mais, vous n'en mettez pas trop, s'il
vous plait."
    »Ihr
seid ja so was von gemein!« rief Flora.
    »Traduisez en frangais, Mademoiselle!« mahnte Victoria.
    Vicki lachte,
und Victoria stimmte ein. Es war einer jener seltenen Momente, in denen sie
sich ihrer Ältesten nahe fühlte.
    Eine
Stunde später war Flora in der Schule, Vicki im Salon zum Klavierunterricht,
David ins Warenhaus unterwegs und Rudolf Könitz mit der Lektüre der
Morgenzeitungen beschäftigt. Wie jeden Montag besprach Victoria mit der Köchin
die Einkaufsliste und die Menuefolgen für die Woche; sie stellte einen Reinigungsplan
für die Schlafzimmer auf, veranlaßte, daß die Schmutzwäsche vorsortiert, die zu
flickenden Stücke zur Näherin gebracht wurden und wies Tessa an, sich um
Malvida zu kümmern. Daß sie die Hausarbeit nicht mehr selbst erledigen, sondern
nur noch anzuordnen brauchte, war eins der angenehmen Dinge im Haus ihres
Vaters, denn es gab ihr genügend Zeit für das, was sie am liebsten tat: lesen.
    Als sie
nach oben ging, drang aus dem Salon eine Englische Klaviersuite von Bach.
Victoria lächelte, als sie daran dachte, wie sehr sie früher Klavierspielen
verabscheut hatte. Um so erstaunlicher, daß ihre Töchter nicht nur talentiert,
sondern auch mit Begeisterung bei der Sache waren.
    Im
Kamin in der Bibliothek brannte Feuer; es war angenehm warm. Auf dem Tisch lag
noch das Lexikon, in dem Richard Samstag nacht Memento mori nachgeschlagen
hatte. Was mochte ihn dazu bewogen haben? Ob es etwas mit dem Mord an Hermann
Lichtenstein zu tun hatte? Aber was? Ihr Mann war die Antwort schuldig
geblieben, wie so oft in letzter Zeit.
    Victoria
erinnerte sich an das schmale Bett, das sie in der Fichardstraße miteinander
geteilt hatten und das keinen Platz für Geheimnisse ließ. Sie wachte auf, wenn
er spät kam, wenn er schlecht träumte oder sich schlaflos hin und her wälzte.
Sie kochte Tee, und später lagen sie beieinander in der Dunkelheit. Er erzählte
von seinen Ermittlungen, sie schwärmte von Conan Doyles Detektivromanen. Er
verspottete ihre angelesene Kriminalistik, sie zitierte Sherlock Holmes'
sarkastische Bemerkungen über die Londoner Polizei.
    »Sie
fragen mich, was ich davon halte, Sir? Ich würde Sie des Ruhmes berauben, den
Ihnen dieser Fall einbringt, wenn ich mich erdreisten wollte,

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