Hahn, Nikola
wenn Sie endlich Platz nehmen und nicht immerzu in Rätseln
sprechen würden.«
»Ich
dachte, Sie mögen Rätsel. Am liebsten solche ohne Fußnoten.«
Es
ärgerte sie, daß er sie mit ihren eigenen Waffen schlug. Vorsichtig ließ Hopf sich
auf einen Sessel nieder. Sie sah ihn bestürzt an. »Was ist mit Ihnen? Haben
Sie Schmerzen?«
»Die
Nachwirkung eines kleinen Reitunfalls«, winkte er ab. »Kein Grund zur
Besorgnis.«
»Aber
warum sagen Sie denn nichts? Ich dachte
»...daß
ich ein Flegel bin, der nicht weiß, was sich einer Dame gegenüber gehört.«
»Entschuldigen
Sie.«
Er
zeigte zu den Bücherregalen. »Da haben Sie nun die ganze Kunst der Deduktion
versammelt und wenden sie nicht an.«
»Eine
anscheinende Unmöglichkeit durch bloße analysierende Beobachtung zu lösen, ist
nicht mehr als ein theoretisches Konstrukt.«
»Aus
der bloßen analysierenden Beobachtung der Inhalte dieses Zimmers deduziere ich,
daß Sie etwas anderes denken, als das, was Sie sagen.«
»Ach
ja? Und was deduzieren Sie aus meiner Bibliothek sonst noch - außer, daß sie
eines unverzichtbaren Werkes entbehrt?«
Sein
verkrampftes Gesicht ließ vermuten, daß er stärkere Schmerzen hatte, als er
zugab. »Sie genossen, soweit es für eine Frau tunlich ist, eine hervorragende
Ausbildung. Nach außen hin die folgsame Tochter, brannte in Ihnen der Wunsch,
die gesetzten Grenzen aufzubrechen, aber letztlich fehlte Ihnen der Mut dazu.
Sie begnügten sich damit, heimlich verbotene Bücher zu lesen, bevorzugt solche
zu medizinischen und kriminalistischen Themen. Edgar Allan Poes
Kriminalnovellen waren Ihre Lieblingslektüre. Im Zusammenhang mit der Aufklärung
eines Mordfalles lernten Sie Ihren Mann kennen und heirateten ihn gegen den
Willen Ihres Vaters.«
Er
trank einen Schluck Kaffee und fuhr fort: »Eine Zeitlang lebten Sie in
bescheidenen Verhältnissen, dann söhnten Sie sich mit Ihren Eltern aus. Unter
der Bedingung, über den Inhalt Ihrer Bibliothek selbst bestimmen zu dürfen,
zogen Sie vor etwa fünf Jahren in Ihr Elternhaus zurück. Mit der finanziellen
Unterstützung Ihres Vaters konnten Sie fortan alle Bücher erwerben, die Sie
interessierten, und das waren in der Hauptsache die Detektivgeschichten von
Arthur Conan Doyle. Als Sie erfuhren, daß es endlich eine neue Geschichte gab,
hofften Sie - wie die anderen Verehrer des großen Detektivs in der ganzen Welt
- auf Holmes' Auferstehung und ließen sich voller Ungeduld das Strand
Magazine aus London schicken, was eine heftige Auseinandersetzung mit
Ihrem Mann zur Folge hatte. Ihre Freude wich maßloser Enttäuschung, als Sie
merkten, daß Sie Ihren Ehefrieden wegen einer nachgelassenen Erzählung riskiert
hatten: Sherlock Holmes war und blieb tot. Ihre Leidenschaft fürs Lesen konnte
das nicht mindern, wohl aber Ihre Wertschätzung für Doyle.«
Er sah
Victorias ungläubiges Gesicht und lächelte. »Sie wünschten sich nichts mehr,
als Ihre Gedanken mit jemandem zu teilen, aber Gräfin von Tennitz, die einzige
Frau in Ihrer Familie, die eine umfassende Bibliothek ihr eigen nannte, gab
Ihnen zu verstehen, daß Detektivgeschichten keine Literatur, sondern Schund
seien und sich jeder Diskurs darüber erübrige. Einerseits fühlten Sie sich von
ihr gedemütigt, andererseits beneideten Sie sie. Weil sie ein Leben führt, das
Sie sich insgeheim erträumen, ungebunden, frei von jeder Konvention und
»Das
ist eine Unterstellung, die ich mir verbitte!«
»Der
einzige Mensch, dem Sie sich anvertrauen, wenn auch nur brieflich, ist Ihr
Bruder, der in Ostindien lebt. Und was Ihren Mann angeht
»Es
interessiert mich nicht, welche Ammenmärchen Maria und Cornelia über Richard
verbreiten!«
»Ich
habe Ihnen schon einmal gesagt, daß Ihre Schwester diskret ist, was familiäre
Angelegenheiten angeht. Und mit Gräfin von Tennitz hätte ich noch den ersten
Satz über Ihre Biographie zu reden.«
»Sie
wollen mir doch nicht weismachen, daß Sie all diese Dinge auf Ihrem Rundgang
durch meine Bibliothek herausgefunden haben!«
»Ach,
da war Glück dabei. Ich konnte nur die Wahrscheinlichkeiten abwägen. Ich habe
gar nicht erwartet, es so genau zu treffen.«
»Sie
haben gar nichts getroffen.«
»Ich
muß Sie um Entschuldigung bitten. Ich habe die Angelegenheit als abstraktes
Problem betrachtet und dabei außer acht gelassen, wie persönlich und
schmerzlich es Sie treffen könnte.«
»Ich
bin nicht Dr. Watson!« sagte Victoria verärgert, als sie erkannte, daß er
Sherlock Holmes zitiert
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