Hahn, Nikola
Ihnen den Spaß verdorben?«
»Nun...
ja.«
Laura
füllte ihr Glas. »Meine Großmama pflegte jeden Herbst ihre überzähligen Äpfel
und Birnen zu einem Gebräu zu verarbeiten, das sie hochtrabend Obstwein
nannte. Sobald wir Kinder zweimal hintereinander niesten, machte sie eine Halbliterkanne
voll davon heiß, und die mußten wir dann zwecks Genesung leeren. Im Vergleich
dazu schmeckt Ihr Apfelwein wie Champagner.«
Heiner
Braun lachte. »Was gibt es Neues im Mordfall Lichtenstein?«
Laura
berichtete von Groß' Festnahme. »Herr Beck und Herr Biddling glauben, daß er
der Täter ist, aber daß er es nicht allein getan hat. Es gibt ja noch den
Fingerabdruck dieser Frau ...« Verlegen drehte sie das Glas in ihren Händen.
»Ich habe vorhin Fräulein Frick besucht. Der Arzt sagt, sie wird morgen
entlassen.«
»Das
ist eine schöne Nachricht. Helena und ich waren mittags im Krankenhaus, aber
niemand konnte oder wollte uns Genaues sagen.«
Laura
erzählte, was sie aus Anna Fricks Akte erfahren hatte. Heiner Braun sah sie
betroffen an. »Deshalb hat sie sich zwanzig Mark von mir geliehen!«
»Sie
bat mich, Ihnen das Geld zurückzugeben. Ich habe es auf meinem Zimmer.«
»Schmonker
legt großen Wert auf den untadeligen Ruf seiner Mitarbeiter. Wenn bekannt wird,
daß sie im Gefängnis war, wird sie ihre Arbeitsstelle verlieren«, sagte Heiner.
»Im
Auftrag der Geschäftsleitung erhielt sie einen Blumenstrauß, dem generös das
Doppelte des noch ausstehenden Lohns beigefügt war«, sagte Laura bitter. »Mit
besten Wünschen für die Zukunft. Eine untadelige Angestellte verzichtet
selbstredend darauf, sich umzubringen. Wen interessieren schon die Gründe.«
Heiner
Braun sah sie mit dem gleichen Blick an wie gestern im Krankenhaus. »Sagen Sie
ihr, daß ich den Mietzins stunde, solange sie arbeitslos ist. Und die zwanzig
Mark verwenden Sie bitte für das Kind.«
Laura
wußte, daß die Pension eines kleinen Beamten gerade zum Überleben reichte.
Selbst wenn Helena über zusätzliche Mittel verfügte, waren zwanzig Mark für
Heiner Braun sicher eine Menge Geld. »Fräulein Frick hat sich Ihnen und Ihrer
Frau gegenüber nicht sehr freundlich gezeigt.«
Er
zuckte die Schultern. »Wenn ich nicht befürchten müßte, daß es für Helena zu
anstrengend ist, würde ich den Kleinen als Kostkind aufnehmen.« Auf Lauras
erstaunten Blick fügte er hinzu: »Als wir heirateten, konnten wir keine eigenen
Kinder mehr haben. Was lag also näher, als ein Kind in Betreuung zu nehmen? Bei
einem blieb es nicht, und ich freue mich, daß aus allen rechtschaffene Bürger
geworden sind. Unser erster Pflegling war ein verwahrlostes und verängstigtes
sechsjähriges Mädchen. Es dauerte Wochen, bis sie Vertrauen zu uns faßte. Jedes
noch so kleine Lächeln war wie ein Geschenk.«
»Wo ist
sie jetzt?«
»Anna
wohnt mit ihrer Familie in Marburg.« Heiner verschwand in der Stube und kam
mit einer Photographie wieder. »Das hat sie mir vor drei Wochen geschickt.«
Das
Bild war in einem Atelier aufgenommen: eine junge Frau in einem schlichten
Kleid neben einer mit Blumen geschmückten Säule, ein gemütlich dreinschauender
Mann und zwei kleine Mädchen, denen das Stillsitzen sichtlich Mühe bereitete.
Heiner lächelte. »Sie wollen wissen, warum ich Fräulein Frick helfe? Vermutlich
bin ich sentimental.«
Jedes
Wort darauf hätte banal gewirkt. Laura trank aus und wünschte ihm eine gute
Nacht. Sie wartete auf der Treppe, bis er zu Bett gegangen war, schlich in die
Stube und nahm das Päckchen aus dem Schrank.
Die Tür
zum Hof quietschte in den Angeln. Am Himmel standen Sterne, der Mond warf
Schatten. Laura hatte den Hering kaum ausgepackt, als die erste Katze um ihre
Beine streifte. Mit der beruhigenden Gewißheit, daß in spätestens zehn Minuten
keine Gräte mehr übrig sein würde, kehrte sie in ihr Zimmer zurück. Sie warf
das Wachspapier in den Ofen. Wie hatte ihr Vater so treffend gesagt? Eine
Wahrheit zu verfechten, die niemandem nützt, ist, wie um einer Wüste willen
Krieg zu führen: Gewinn und Verlust stehen außer Verhältnis. Wie in der
Liebe, dachte sie und schlüpfte unters Federbett.
Lichtenstein
war längst gegangen, aber noch immer saß Richard vor der aufgeschlagenen Mappe.
Daß David auf großem Fuß lebte, war ihm nicht neu, und obwohl Rudolf Könitz
keine Gelegenheit ausließ, seinen Sohn zu kritisieren, hatte er doch stets
seine Schatulle geöffnet, wenn es galt, ihm aus einer finanziellen Bredouille
zu helfen.
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