Hahn, Nikola
und es enttäuschte sie, nirgends
Licht zu sehen. Als sie in ihr Zimmer gehen wollte, knarrte es über ihr im
Gebälk. Ob Heiner Braun in seinem Belvederche war? In der freudigen
Erwartung, mit ihm sprechen zu können, stieg sie in die Bodenkammer hinauf. Die
Tür zur Galerie stand einen Spaltweit offen, drinnen flackerte Kerzenlicht.
»Ich habe Angst«, hörte sie Helena sagen und blieb erschrocken stehen.
»Aber
es hilft doch nichts, wenn du hier in der Kälte sitzt, Liebes.«
»Manchmal
denke ich...« Sie fing an zu weinen. »Was ist, wenn ich eines Tages nicht mehr
denken kann, Heiner? Wenn ich sogar vergesse, daß du und ich
»Ach
was«, sagte er zärtlich.
»Ich
bin mir aber sicher, daß ich den Hering aus dem Korb genommen habe!«
»Papperlapapp.
Der Verkäufer hat vergessen, ihn dir einzupacken.«
»Meinst
du wirklich?«
»Wo soll
die tote Arbeiterforelle denn hingeschwommen sein, hm? Ich habe die Küche bis
in den letzten Winkel abgesucht. Im übrigen schmecken Pellkartoffeln mit Butter
und Salz sowieso besser.«
»Ach,
du bist...«
»Unmöglich,
ich weiß. Daß du mich trotzdem geheiratet hast, verdient Respekt. Siehst du,
schon lächelst du wieder.«
Leise
zog Laura sich zurück. Sie dachte an die alte Professorenwitwe, die sie in
Berlin gepflegt hatte. Sie hatte abwechselnd geweint und geschrieen und nicht
einmal ihre Kinder erkannt. Dementia senilis, Altersschwachsinn, hatte
der Arzt diagnostiziert und sie ins Irrenhaus eingewiesen.
Der
Ofen in ihrem Zimmer war angeheizt, aber sie fror innerlich. Sie hatte Fälle
erlebt, in denen die Kranken nicht mehr wußten, ob es Morgen oder Abend, Sommer
oder Winter war. Aber keiner dieser Patienten war jünger als siebzig gewesen,
einige hatten sogar die achtzig überschritten. Laura rieb ihre Hände über dem
Ofen. Für Dementia senilis war Helena eigentlich zu jung. Vielleicht
litt sie unter einer harmlosen, vorübergehenden Gedächtnisschwäche, womöglich
als Folge einer kürzlich überstandenen Krankheit? Das war zwar selten, kam aber
vor. Ob sie mit Heiner Braun darüber reden sollte? Oder mit Helena selbst? Die
beiden hatten sie so herzlich aufgenommen, und sie würde ihnen gern helfen. Am
besten wartete sie eine unverfängliche Situation ab und brachte das Thema
beiläufig zur Sprache.
Sie
legte ihre Kleider ab und zog ihr Nachthemd an. Ihre Gedanken wanderten zu
Anna Frick. Morgen würde sie versuchen, in Frankfurt eine Pflegestelle für den
kleinen Christian zu finden, damit seine Mutter ihn häufiger sehen konnte. Mit
diesem Vorsatz schlief sie ein.
Kurz
nach Mitternacht wachte sie auf. Ihr Hals war staubtrocken und das Verlangen
nach einem Glas Wasser so übermächtig, daß es sie aus dem Bett trieb.
»So
spät noch auf den Beinen?« begrüßte sie Heiner Braun, als sie in die Küche kam.
»Was
tun Sie denn hier?« fragte sie überrascht.
Er
lächelte. »Die nächtliche Stille genießen. Und Sie?«
»Ich
habe einen Durst, als sei ich durch die Libysche Wüste marschiert.«
»Dagegen
habe ich ein vorzügliches Mittel.« Er nahm einen bauchigen Krug aus der
Stellage neben dem Herd. »Wenn Sie mich kurz entschuldigen?«
Es
dauerte keine zwei Minuten, bis er wiederkam. »Bitte sehr, die Dame!«
»Was
immer da drin ist, ein Glas zum Verkosten wäre nicht schlecht«, sagte sie
lächelnd. »Verraten Sie mir, wo ich es finde?«
»Im
Büfett in der Stube, rechts unten. Bringen Sie mir auch eins mit.«
Als
Laura die Schranktür öffnete, sah sie etwas in Wachspapier Eingewickeltes
neben den Gläsern liegen. Der Geruch verriet ihr, was es war. Helena hatte also
recht gehabt! Sie war unschlüssig, was sie tun sollte. Den Fund ignorieren? Ihn
mit einem gespielt ahnungslosen Lächeln Heiner Braun geben? Auf keinen Fall
durften er oder Helena erfahren, daß sie ihr Gespräch im Belvederche mitangehört
hatte!
»Sind
Sie dem Hausgespenst begegnet?« fragte Heiner, als sie in die Küche zurückkam.
Laura
stellte die Gläser auf den Tisch. »Dem Knarren nach zu urteilen, haust in Ihrem
Büffet ein ausgewachsener Lar.«
»Ts!
Dabei habe ich ihm erst gestern Schrankverbot erteilt.« Heiner schenkte aus.
»Sie haben die Ehre, Ihren Durst mit einem edlen Stöffchen zu löschen:
Apfelwein, das Frankfurter Nationalgetränk.« Er grinste. »Am besten probieren
Sie erst mal.«
Sie
nahm einen kräftigen Schluck und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ihr
Nationalgetränk schmeckt nach mehr, Herr Wachtmeister!«
»Oh.«
Sie
lachte. »Habe ich
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