HahnBlues | Ein Rhein-Mosel-Krimi
war und dem weltoffenen Flughafen, als der er sich in der Gegenwart präsentierte. Der Reporter des Rhein Wied Express hielt einen Augenblick lang inne und atmete tief durch. Obwohl es jenseits des hohen Zaunes eigentlich nach Öl, Kerosin und verbranntem Gummi riechen musste, war die Luft eigenartig frisch hier oben auf dem Hunsrück-Kamm.
Er entsann sich an die Zeit, die er selber beim Militär verbracht hatte. Ein Jahr lang Grundwehrdienst, den er in einer Kleinstadt bei Bremen verbracht hatte. Achim. Das musste 1990 gewesen sein, und wahrscheinlich stand von der guten alten Steuben-Kaserne, die er damals so gehasst hatte, kein Stein mehr auf dem anderen. Plötzlich hatte er wieder alles in der Erinnerung präsent: Die Übungen unter schweren Bedingungen, die Nachtwachen, die unendlich trockenen Technischen Dienste, die er in der InSt, der Instandhaltung geschoben hatte, die Panzer-Schießübung an der Ostsee – all das war plötzlich wieder Bestandteil seines Lebens. Er hatte nie etwas für die Bundeswehr übriggehabt, und den Grundwehrdienst hatte er nur absolviert, weil er den Führerschein der Klasse 2 haben wollte. Und, um nicht als Zivildienstler von seinen Freunden in die Kategorie Warmduscher geschoben zu werden. Gut, dass die zu Anfang seiner Soldaten-Karriere aufgerufenen 15 Monate kurz nach seiner Grundausbildung auf zwölf erträgliche Monate verkürzt worden sind. Dann hatte er den Scheiß eben schneller hinter sich, so hatte er damals gedacht. Rückblickend hatte ihm die Bundeswehrzeit nicht geschadet.
Mein Gott, dachte Kaltenbach, ist das lange her.
Kaltenbach war sich plötzlich darüber im Klaren, dass er alt wurde. Vielleicht würde er mal übers Wochenende nach Achim fahren, einfach mal so, der alten Zeiten wegen. Und einfach mal, um mal wieder einen Fuß auf das alte Kasernengelände zu setzen. Ganz ohne Truppenausweis, ganz zwanglos.
Und jetzt stand er am Zaun eines ehemaligen Militärflugplatzes, der lange nach dem Kalten Krieg für Unfrieden in der Bevölkerung sorgte. Stand es in seiner Macht als Journalist, das alles zu beenden? Zweifel kamen in ihm auf – vielleicht war der Hahn einfach eine Nummer zu groß für ihn, den kleinen Lokalreporter, der sonst über Schützenvereine und Karnevalsfeiern berichtete. Aber womöglich war eben das die Herausforderung für ihn.
Das Dröhnen eines hubraumstarken Dieselmotors ließ Kaltenbach aufhorchen. Unweit der Landebahn hinter dem Zaun erkannte er einen knallgelben Lkw. Kaltenbach wandte den Kopf und erkannte eine Mercedes-Sattelzugmaschine, die offenbar mit Allradantrieb ausgestattet war und einen Sattelauflieger mit einer Kippermulde.
Drüben wurde ein Tor im Zaun geöffnet. Der Arbeiter, wahrscheinlich ein Angestellter des Flughafens, grüßte den Fahrer des Kippers. Das schwere Fahrzeug rumpelte vom Gelände auf die Straße und beschleunigte recht flott. Der Mann am Zaun salutierte wie ein Soldat, dann verschloss er das hohe Tor eilig, stieg in einen Jeep und rumpelte davon.
Kaltenbach riss die Kamera hoch und schoss eine kleine Fotoserie, dann verstaute er die Nikon in seinem Koffer, sprang auf die Maschine und betätigte den Starter. Als er den Ständer eingeklappt hatte und sich in den Verkehr einordnen wollte, wurde die Honda von dem schnell vorbeifahrenden Lastzug gebeutelt. Um ein Haar hätte Kaltenbach das Gleichgewicht verloren und wäre mit der Honda umgekippt. Im Augenwinkel sah er die Aufschrift auf dem Sattelzug.
Manderscheid Baustoffe – wir fahren für Sie!, stand dort in großen Buchstaben. Der Lkw musste zu der Firma gehören, die Beatrice nach dem unaufgeklärten Mord an ihrem Mann verkauft hatte, um in Kastellaun ein neues Leben zu beginnen. Und Rudolf Manderscheid war Gegner des Hahn gewesen – jetzt fuhren seine Lastwagen offenbar für die Flughafengesellschaft. Kaltenbachs Neugier war erwacht. Er legte einen Gang ein und riss den Gashahn der Honda CBX auf. Die Maschine vollführte einen Satz nach vorn. Kaltenbach heftete sich an das Heck des Sattelzuges. Dabei fuhr er so, dass der Fahrer ihn in den Rückspiegeln nicht bemerken konnte. Der Kerl war viel schneller als mit den sechzig erlaubten Stundenkilometern unterwegs. Moderne Lkw hatten um die sechshundert PS, und so wunderte sich Kaltenbach auch nicht über die knapp hundert Stundenkilometer, mit denen der Bolide trotz seiner tonnenschweren Fracht unterwegs war.
Wollte der Mann hinter dem Steuer nach der letzten Fuhre schnell Feierabend machen, oder
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