Hahnemanns Frau
Geschöpf ein Mann geworden wäre«, sagte Dr. Hahnemann mit einem Lächeln.
Einen Moment sah sie ihn erstaunt an. Er machte ihr den Hof! Oder nahm er sie nicht ernst?
Er lehnte sich zurück, zündete seine Pfeife an und zog einige Male daran. Sofort war er in dicke Rauchschwaden gehüllt, wogegen er mit einigen fahrigen Handbewegungen ankämpfte. »Man müßte rauchen können, ohne Qualm zu verursachen«, sagte er und zwinkerte ihr zu.
Nun war sie es, die lachte. »Vielleicht gelingt es, wenn Sie es beim Rauchen einmal mit homöopathischen Dosen versuchen!«
»Schlagfertig sind Sie auch noch!« Schmunzelnd hielt er seine Pfeife hoch und betrachtete das gute Stück, als würde er es zum ersten Mal sehen. Dann sagte er: »Ich esse mäßig und anspruchslos, ich trinke nur Wasser, Milch und Weißbier. Kleidung, Einrichtung oder anderes, wofür man Geld ausgeben könnte, interessieren mich wenig – der Pfeifentabak ist das einzige, was ich mir gönne. Zum Leidwesen meiner Töchter übrigens. Sie möchten es mir verbieten, aber ich bin nun einmal ein eigensinniger Mensch. Verbieten lasse ich mir gar nichts!«
Trotzdem stellte er sein gutes Stück nun zu einer Ansammlung anderer Pfeifen in den Pfeifenständer. Dann nahm er Papier und eine Schreibfeder und begann mit einer ausführlichen Befragung.
Die Fragen nach ihren körperlichen Symptomen beantwortete Mélanie zielgerichtet und ohne verwirrende Ausschmückungen. Wann schwitzen Sie? Wie sieht der Urin aus? Wann treten die Schmerzen auf? Wie fühlen diese sich an? – Gleichgültig, was auch immer Dr. Hahnemann wissen wollte, sie gab präzise und sachlich Auskunft.
Den Fragen nach Gemütssymptomen versuchte sie anfänglich jedoch auszuweichen. Nach und nach aber stellte sich eine Vertrautheit zwischen ihr und Dr. Hahnemann ein, die sie ihre Zurückhaltung vergessen ließ, und sie erzählte ihm von den Dingen, die sie sonst nur selten einem Menschen anvertraute.
»Sie fragten nach meinem Verhältnis zur Mutter, Monsieur – nun, meinem Vater stand ich stets näher! Ich bewunderte ihn und war ihm dankbar dafür, daß er mir, ganz gegen Mamas Willen, Bildung zukommen ließ. Er war mein erster Lehrer, und sein Unterricht bestand viel eher in Lob als in Belehrungen. Von Kindheit an brachte er mir und meinem Bruder bei, die Wahrheit der Dinge zu suchen, indem er den Finger auf Irrtümer legte. Rousseau war sein Vorbild. Vernunft und Philosophie, Liberalität, Individualität und Selbstbewußtsein waren ihm ganz in dessen Sinne besonders wichtig.«
Ihre Augen glänzten, als sie von ihrem Vater erzählte. Doch plötzlich kehrte sich ihr Blick nach innen, und ein trauriger Zug lag auf ihrem Gesicht.
»Ganz anders verhielt es sich mit meiner Mutter. Sie war eine wunderschöne Frau, aber sie hatte die kleinliche Erziehung des Klosters erhalten, und darum war ihr Verstand im Alltäglichen steckengeblieben. Sie glaubte, daß es für ein Mädchen nicht schicklich sei, sich zuviel Bildung und Charakter anzueignen, und hätte es lieber gesehen, wenn mein Vater meinem Wissensdurst nicht nachgegeben hätte.«
Mélanie schlug die Augen nieder, Dr. Hahnemann sollte die aufkommenden Tränen nicht bemerken. Sie atmete tief durch, dann fuhr sie fort: »Einmal brachte mein Vater ein Märchenbuch von einer Reise nach Hannover mit. Eines der Märchen hielt mich besonders gefangen. Es war die Geschichte von Schneewittchen. Ich weiß, daß dieses Märchen inzwischen bearbeitet und geschönt wurde, damit es den Kindern nicht gar so grausam erscheint. Damals aber, als ich es las, hatte sich der König ein schönes Kind gewünscht und bald darauf eines am Wegrand gefunden. Er hatte es mit nach Hause genommen und dort an seine Frau übergeben. Doch weil das Mädchen so schön war, hat sie es mit ihrem Haß verfolgt und ihm nach dem Leben getrachtet. Ich hatte Angst vor diesem Märchen, und doch las ich es wieder und immer wieder.«
Nun hob Mélanie den Blick und sah Dr. Hahnemann unverwandt an.
»Je älter ich wurde, desto schwieriger wurde mein Verhältnis zu meiner Mutter. Es war ganz ähnlich wie in diesem Märchen. Ich stand ihrem Wunsch, für alle die Schönste zu sein, im Weg. Ihre schlechte Laune hielt sich immer an mich. Auch wenn ich an etwas vollkommen unschuldig war, erfuhr ich ihre Strafe.«
»Haben Sie Ihre Mutter gehaßt?«
»Nein – ich betete sie an! Darum wollte ich ihr gefallen und versuchte immer, es ihr recht zu machen. Um ihre Eifersucht und ihren Neid nicht
Weitere Kostenlose Bücher