Hahnemanns Frau
Doyen über den Weg zu laufen. Ihr war klar, daß er sie nach der Vorstellung abfangen würde. Sie kannte ihn, er gehörte zu den Menschen, die mit Vorliebe in offenen Wunden bohrten – auch in den eigenen. Aber dann würde sie wenigstens in Begleitung Samuels und ihres Vaters sein.
Tatsächlich stand er beim Verlassen der Oper plötzlich vor ihr. »Ich hoffe, die Vorstellung hat Ihnen gefallen, Madame?« Er sah von ihr zu Samuel, dann wieder zu ihr.
»Dr. Pierre Doyen«, stellte sie vor, ohne seine Frage zu beantworten. »Und das ist mein Gatte, Dr. Samuel Hahnemann. Meinen Vater kennen Sie ja.«
»Ihr Gatte – ich weiß.« Doyen starrte Samuel finster an. »Der Begründer der Homöopathie, jener seltsamen neuen Heilmethode, die mit nichts nichts zu heilen vermag.«
Samuel mußte zu dem sehr viel größeren Mann aufsehen. Trotzdem gelang es ihm, Doyen auf eine Art von oben herab zu betrachten, die diesem zeigte, daß er, Samuel, jederzeit bereit war, es mit ihm aufzunehmen. Um seinen Mund zuckte ein zynisches Lächeln, als er ganz ruhig entgegnete: »Ich sehe, Herr Kollege, Sie sind nicht ganz richtig informiert. Der Grundsatz lautet Similia similibus curentur – Ähnliches ist mit Ähnlichem zu heilen. Aber wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, sind Sie herzlich zu einem meiner Gesprächskreise eingeladen, die in Zukunft einmal wöchentlich bei mir stattfinden werden. Ich denke doch, wer Kritik laut werden läßt, sollte wenigstens umfassend informiert sein, um sich am Ende keine Blöße zu geben.«
»Vielen Dank für Ihre Einladung.« Die Muskeln um Doyens Backenknochen spielten, Haß blitzte aus seinen Augen. Ihn hatte Mélanie zurückgewiesen, doch diesen alten Greis, der die Welt mit seiner Medizin zum Narren hielt, hatte sie geheiratet! »Aber ich denke nicht, daß mein Verständnis so weit reicht, Ihre Lehre zu begreifen.« Er sah Mélanie an. »Ich empfehle mich, Madame. Ganz sicher hören Sie wieder von mir.« Er verbeugte sich knapp, dann ging er mit langen, wütenden Schritten davon.
Joseph d'Hervilly legte Hahnemann eine Hand auf den Arm. »Machen Sie sich nichts draus. Der Mann ist ein Hitzkopf, aber sein Gemüt kühlt sich auch schnell wieder ab.«
»Hitzkopf? Il est un sacré têtu – ein verdammter Holzkopf ist er!« Verärgert drehte sich Mélanie um, hob ihren Rock an und verließ die Oper.
Anfeindungen
»Das mußt du hören!« Ohne anzuklopfen, stand Mélanie plötzlich in Samuels Arbeitszimmer, ihr Gesicht war weiß vor Zorn. »Hier ist ein Artikel über dich, geschrieben von einem gewissen Christian Labourier . Ich weiß, daß dieser Schmierfink ein guter Bekannter von Doyen ist, ich habe ihn des öfteren in seiner Begleitung gesehen. Es ist also klar, wem du diese Verleumdungen zu verdanken hast.« Laut las sie vor: »… möchte sich Dr. Samuel Hahnemann, der zuletzt in Deutschland, in der Hauptstadt des Herzogtums Anhalt-Köthen praktizierte, hier bei uns in Paris niederlassen, um sich als großer Arzt und ruhmreicher Begründer seiner neuen Heilmethode hervorzutun. Es mag Leute geben, die sich blenden lassen und der Homöopathie, wie er seine Methode nennt, Vertrauen schenken. Doch nicht ohne Grund hat dieser Mann in Deutschland die gesamte Ärzte- und Apothekerschaft gegen sich aufgebracht und sich schließlich nach Frankreich abgesetzt.
Die Liste seiner ärztlichen Verfehlungen mag lang sein. Hier seien jedoch nur zwei Fälle erwähnt, die uns zu denken gaben.
Zuerst starb dem ›Grande homme ‹, wie ihn seine Frau, die Marquise d'Hervilly, so gerne zu nennen pflegt, ein Kind unter den Händen weg. Ein Junge, der von einem tollen Hund gebissen war. Ein erfahrener Wundarzt wollte dem Kind die Bißwunde ausschneiden, aber Hahnemann gedachte sich als Wunderheiler hervorzutun und verabreichte dem armen Opfer seiner ›Heilkunst‹ eines seiner Zuckerkügelchen, die, wie man weiß, mit nichts als Wasser getränkt sind. Natürlich starb der junge. Aber anstatt die schwere Schuld auf sich zu nehmen, behauptete der selbsternannte Wunderheiler, man hätte das Kind einfach nur zu spät zu ihm gebracht.
Aus unerfindlichen Gründen brachte niemand die Sache zur Anzeige. Als Hahnemann jedoch einen zweiten Todesfall verursachte, wurde er mit Schimpf und Schande aus Leipzig vertrieben, der Stadt, in der er damals noch praktizierte. Es geht in dieser Sache um den Fürsten Karl von Schwarzenberg, der an einer beginnenden Verkalkung der Venen litt. Der Mann war nach Leipzig
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