Hahnemanns Frau
Sie«, sagte er.
»Und wie bin ich Ihrer Meinung nach?«
Er lachte. »Stolz, entschlossen, auf dem geraden Weg nach vorne.«
»Nun, nicht jeder Mann mag das.«
»Und – bin ich jedermann?« Ein Lächeln lag auf seinem runden, freundlichen Gesicht. Forschend sah er ihr in die Augen.
Danach hatten sie noch über Kunst und Politik geredet, bis Mélanies Kutsche kam und sie sich verabschiedete.
Nun war er König, und sie hoffte auf seine Hilfe. Sie hätte den offiziellen Weg gehen und um eine Audienz bitten können, aber da hätte sie unter Umständen wochenlang warten müssen! Und wer weiß, ob Guizot, der einen großen Einfluß auf Louis-Philippe zu haben schien, ein Zusammentreffen nicht sogar zu verhindern gewußt hätte. Da war es leichter, die d'Avrillion für ihre Sache zu gewinnen. Immerhin waren ihre Mütter Kusinen zweiten Grades gewesen und hatten sie als junge Mädchen oft gemeinsam zum Sticken verurteilt, eine Arbeit, die Estelle und ihr gleichermaßen verhaßt gewesen war und durch die sie sich zu so manchen unschicklichen Flüchen hatten hinreißen lassen.
Die d'Avrillion war eine enge Vertraute der Königin. Marie-Amélie von Bourbon-Sizilien – eine kluge und stille Frau mit einem langen, schmalen Gesicht und einer großen Nase. In nur vierzehn Jahren hatte sie zehn Kinder zur Welt gebracht. Mélanie überlegte, wer ihr diese enorme Anstrengung wohl dankte. Ihr Gatte, der König? Die Franzosen?
Aber vielleicht war Marie-Amélies Mühe ja auch gar nicht so groß, wie Mélanie befürchtete. Selbst eines von siebzehn Geschwistern – Tochter des Königs von Neapel und Carolines de Habsbourg, die eine Schwester der unglückseligen Marie-Antoinette war –, hatte man sie vermutlich auf ein Leben unter dem Joch der Krone und auf das Gebären für den Staat vorbereitet.
Es waren ausgedehnte Wälder, die Mélanie auf ihrer Fahrt zum Schloß durchqueren mußte. Als ihre Kutsche endlich vor den Toren Fontainebleaus anhielt, stand die Sonne bereits hoch, und es war drückend heiß.
Mélanie gab dem Wachhabenden ihren Paß und die Einladung der Gräfin d'Avrillion. Während er die Papiere durchsah, beobachtete sie das Treiben auf dem Schloßplatz. Drei Gärtner beschnitten Buchsbäume, die in Kübeln standen, und einige Männer der Garde marschierten auf. Letzteres war ein Zeichen, daß der König im Schloß war, aber das hatte sie bereits gewußt, sie hatte Erkundigungen eingezogen.
Der Wachhabende gab ihr die Papiere zurück und winkte die Kutsche durch. An der Treppe wurde Mélanie von einem Lakaien empfangen, der ihr beim Aussteigen half. Ein anderer brachte sie schließlich in die Räume der Gräfin.
Mélanie folgte ihm und blickte dabei durch die hohen Fenster nach draußen in den Park. In einiger Entfernung erkannte sie zwei junge Herren von etwa vierzehn Jahren. Sie hatten Jagdgewehre und zielten auf eine Schießscheibe – vermutlich waren es Henri und Charles von Orléans, Louis-Philippes jüngste Söhne. Einige Damen des Hofes saßen in der Nähe und bewunderten sie gebührend.
Plötzlich blieb der Lakai stehen und klopfte.
»Entrez!« Mélanie erkannte die Stimme ihrer Kusine.
Der Diener öffnete die Tür und wartete, bis der Gast eingetreten war, um sie wieder schließen zu können.
Mélanie sah sich verwundert um. Es war so dunkel im Raum, daß sie die Umrisse der Möbel kaum erkennen konnte. Erst als sich ihre Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen begannen, nahm sie die Sitzgruppe wahr, die vor dem Kamin stand – und dort, auf einem Sofa, lag mehr, als daß sie saß, ihre Kusine Estelle.
»Kommen Sie nur, Madame, approchez!« Estelles Stimme klang gequält. »Ich bin krank. Der Kopf! Es sind Höllenqualen, und wenn ich Sie noch hätte erreichen können, hätte ich Ihnen abgesagt.« Sie richtete sich auf und seufzte. Dann wechselte sie plötzlich zum Du, wie damals, als sie noch Kinder waren. »Könntest du mir bitte ein Glas Wasser reichen?«
Mélanie sah sich um. Auf einem Tisch an der Wand standen auf einem Tablett eine Wasserkaraffe und vier Gläser. Sie goß eines der Gläser halb voll und gab es Estelle in die Hand.
»Komm, setz dich!« Die d'Avrillion klopfte neben sich auf das Polster, als ob Mélanie ein Hündchen wäre, das Platz machen sollte. »Möchtest du ein Glas Likör? Oder Früchte?«
»Ich will dir keine Umstände bereiten. Wenn du möchtest, gehe ich wieder.«
»Aber nein – nach dem weiten Weg von Paris hier heraus! Es ist ohnehin nicht mehr so
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