Hahnemanns Frau
verschreibt, wie das doktrinäre Ministerium dem Lande die Freiheit …
Dr. Pierre Doyen warf die Zeitung auf den Tisch und sprang so heftig von seinem Stuhl auf, daß der mit einem lauten Knall hinfiel.
»Verdammt – nun hat er es also doch geschafft!« Er schob beide Hände in die Taschen seiner Hose und ging zum Fenster. Eine Weile starrte er hinaus, dann erhellten sich seine Gesichtszüge plötzlich. Er hatte eine Idee, und sie schien ihm zu gefallen.
Zwei Stunden später betrat er das Haus seines Neffen Sébastien Colbert und ließ sich von einem Dienstmädchen anmelden. Die Kleine hatte rotes Haar und grüne, schräg stehende Augen, und wenn sie ging, schwang sie die Hüften wie ein Revolutionär seine Fahnen. Doyen grinste, als er ihr nachsah. Hübsch war sie und bestimmt keine Kostverächterin.
Ein paar Minuten später kehrte sie zurück. »Mein Herr läßt bitten.«
Doyen nickte, und während er ihr folgte, starrte er auf den roten Haarflaum und die vielen Sommersprossen in ihrem Nacken. Vor Sébastiens Arbeitszimmer blieb sie stehen, legte ihre Hand auf die Klinke und sah Doyen mit keckem Augenaufschlag an.
»Wie heißt du?« wollte er wissen.
»Dodo, Monsieur.«
»Ah, ja.« Er lachte, dann öffnete sie die Tür, und er trat ein.
Sébastien Colbert war der Sohn seiner ältesten Schwester und nur ein paar Jahre jünger als er selbst. Ein großer, schlanker Mann um die Dreißig, mit dunklem, gewelltem Haar und sprechenden blauen Augen. Seine Nase war schmal und leicht nach unten gebogen, was ihm ein interessantes, etwas herbes Aussehen verlieh. Seine hohe Stirn gab ihm den Ausdruck von wacher Intelligenz.
Daß Sébastiens elegante Erscheinung bei den Frauen ankam, war längst kein Geheimnis mehr. Zudem hatte er eine Art von Charme, die ihre mütterlichen Instinkte ebenso weckte wie ihre weiblichen Sehnsüchte. Von Vorteil war für Doyens Plan außerdem, daß sein Neffe die letzten acht Jahre in England gelebt und sich erst vor kurzem wieder in Paris niedergelassen hatte. Sein Ruf unter den Damen war darum noch relativ unbeschadet, und Mélanie Hahnemann kannte ihn vermutlich nicht.
Doyen hielt den Zylinder in der Hand und verneigte sich vor Sébastien. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen – Comment allez-vous?«
»Merci, très bien – sehr gut. Und Ihnen?«
Doyen schien abzuwägen. Er fuhr sich nachdenklich mit dem Zeigefinger über den Schnauzbart, dann antwortete er: »Es könnte mir noch besser gehen, wenn man mich nicht so tief gekränkt hätte.«
»Man hat Sie gekränkt, Onkel?« Sébastien lud Doyen mit einer Handbewegung ein, sich zu setzen, und nahm ihm gegenüber Platz.
»Gekränkt und zurückgewiesen. Und zwar auf eine Art, die einem Mann an die Ehre rührt.«
»Ah, es geht also um eine Frau.« Sébastien seufzte.
»Sehr richtig. Ich habe die Dame um ihre Hand gebeten. Sie hat mir zu verstehen gegeben, daß sie niemals heiraten wird, weder mich noch einen anderen. Nun hat sie aber doch geheiratet – einen Mann von achtzig Jahren, einen deutschen Medicus Homöopaticus.« Letzteres hatte er voller Ironie und nicht zu überhörender Bitterkeit gesagt.
Plötzlich sprang er auf und lief im Zimmer umher. »Dieser Mann ist ein Scharlatan. Er hat die gesamte Ärzte- und Apothekerschaft gegen sich aufgebracht. Und seine Frau, die Marquise Mélanie d'Hervilly, hat sich in einer aufreizenden, verachtenden Art öffentlich über mich lustig gemacht. Sie werden verstehen, daß ich ihr das heimzahlen muß.«
»Und dazu brauchen Sie mich?«
Doyen setzte sich wieder. »Soeben habe ich in Le Temps diesen Artikel entdeckt.« Er zog einen Zeitungsausschnitt aus der Tasche und reicht ihn seinem Neffen. »Und ein paar Seiten weiter diese Annonce.« Ein zweiter Ausschnitt folgte.
Sébastien überflog zuerst den Artikel, dann las er laut den Text der Anzeige: »Dr. Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, gibt hiermit bekannt, daß er ab sofort in der Rue Madame Nr. 7 praktizieren wird.« Erstaunt sah er Doyen an. »Und das erzürnt Sie so?«
»Dieser Mann hat mehrere Menschenleben auf dem Gewissen. Trotzdem läßt man ihn in Paris seine mehr als fragwürdige Heilkunst ausüben? Ich bitte dich, Sébastien, das ist doch hanebüchen! Außerdem bin ich nicht gewillt, diese andere Kränkung auf mir sitzen zu lassen.« Er schlug sein rechtes Bein über das linke und ließ es wippen, ein Zeichen, wie erbost er war.
»Und was stellen Sie sich vor, Onkel?«
»Du könntest dich als Patient
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