Hahnemanns Frau
murmelte sie. Doch plötzlich streckte sie sich wieder. »Das heißt, vielleicht … Komm mit! Wenn wir ein wenig Glück haben, ist es noch nicht zu spät.«
Mélanie folgte ihrer Kusine. Als Estelle die Tür öffnete, blieb sie einen Moment stehen und stieß einen leisen Jammerlaut aus. Das Licht fuhr ihr wie Messer in die Augen und verwandelte ihren Kopf in einen Vulkan. Seufzend drückte sie beide Hände gegen die Schläfen, doch dann eilte sie schnell weiter, über den Flur, nach rechts, über eine schmale Treppe, und schon waren sie im Park.
Plötzlich griff Estelle nach Mélanies Arm und zog sie hinter eine Buchsbaum-Pyramide. »Da ist er schon. Dort drüben, siehst du? Er geht zu seinen Söhnen, um ihnen beim Schießen zuzusehen. Jetzt lauf, beeil dich. Sollte er dich fragen, was du hier tust, behaupte, du suchst nach mir. Ich bleibe in der Nähe und beobachte euch. Wenn du dir an den Hut faßt, dann weiß ich, daß du mich brauchst, komme zu euch und tue so, als hätte ich dich ebenfalls gesucht. Also geh!«
Mélanie griff in ihre Röcke und lief los. Gerade als Louis-Philippe den Weg überqueren wollte, trat sie auf ihn zu.
Er sah sie erstaunt an und dachte eine Weile nach. Dann nickte er und lächelte. »Ah, die Marquise Mélanie d'Hervilly-Gohier, wenn ich nicht irre.«
Mélanie verbeugte sich mit einem Hofknicks. »Es freut mich, Königliche Hoheit, daß Sie sich an mich erinnern. Allerdings heiße ich inzwischen Hahnemann.«
»'ahnemann?« wiederholte er. »Ein deutscher Name? Ja, sind Sie denn verheiratet?«
Mélanie richtete sich auf, kam noch einen Schritt näher und sah Louis-Philippe offen ins Gesicht.
»Ja, Königliche Hoheit. Mein Gatte ist Arzt. Er ist der Begründer der Homöopathie.«
»'omöopathie.« Er nickte. »Ich habe darüber gelesen. Wurde Dr. 'ahnemann nicht sogar von einem Pariser Institut geehrt? Soweit ich mich erinnere, hat Guizot einmal davon gesprochen.«
»Das ist richtig. Von der Société Homéopathique Gallicane. Vor gut einem Jahr.«
»Aber ist Ihr Gatte … ist Dr. 'ahnemann denn nicht ein alter Mann?« Er sah Mélanie forschend an.
»Er ist im Frühjahr achtzig Jahre alt geworden, aber er ist der wunderbarste Mann, den ich kenne. Abgesehen von Ihnen natürlich, Königliche Hoheit.«
Sie lachten beide.
Louis-Philippe wandte sich zum Gehen. Mélanie blieb an seiner Seite.
»Um offen zu sein – es gibt Probleme. Ich möchte zusammen mit meinem Gatten in Paris bleiben, aber dann müßte er die Möglichkeit bekommen zu praktizieren.«
»Ist das denn ein Problem?« Louis-Philippe war erstaunt.
»Bisher erhielt er keine Antwort auf seine Anfragen. Wir können uns das nicht erklären. Möglicherweise sitzt ein kleiner Saboteur irgendwo auf dem Weg zwischen ihm und dem Minister.«
»Guizot? Den treffe ich heute abend noch. Wenn ich Ihnen so behilflich sein kann, Madame, werde ich mit ihm über die Sache reden.«
Ein Knall zerriß die Stille. Louis-Philippe zuckte zusammen, dann lachte er nervös. »Heute einmal kein Attentat auf mich – nur meine schießwütigen Söhne. Ich bin auf dem Weg zu ihnen. Ich hoffe, die Herren halten sich an die strikte Anweisung, nur in Richtung der Zielscheibe zu schießen, anderenfalls hat Frankreich doch noch ein Staatsbegräbnis auszurichten und muß ein neuer König eingesetzt werden.« Er blieb stehen, nahm Mélanies Hand und beugte sich in einem angedeuteten Kuß darüber. »Es war schön, Sie einmal wiedergesehen zu haben. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Gatten viel Glück in Paris. Und grüßen Sie ihn von mir.«
»Das werde ich tun«, versprach Mélanie und sah dem König lächelnd nach.
Der Verführer
Dr. Doyen starrte in die Zeitung. Le Temps brachte einen Artikel über Hahnemann. Murmelnd bewegten sich seine Lippen, während er las.
Endlich haben sich die Homöopathen in ihrer Sache durchsetzen können. Nachdem ihnen die Erlaubnis zur Eröffnung einer besonderen Klinik verweigert worden war, haben sie ihren alten Herrn und Meister nach Paris kommen lassen, wobei ihnen die Wünsche der Madame Hahnemann durchaus gelegen kamen. Um aber seine ›Heilkünste‹ in Paris ausüben zu können, bedurfte Hahnemann der Erlaubnis der Regierung. Diese ist ihm jetzt durch die Vermittlung des Herrn Guizot zuteil geworden.
Niemand darf sich darüber wundern, denn Monsieur Hahnemann ist so gut ein Doktrinär wie Monsieur Guizot. Seine Doktrin besteht darin, daß er seinen Patienten die Medikamente in ebenso kleinen Dosen
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