Hahnemanns Frau
gewisse Linderung war zu erkennen, allerdings verstärkte sich die Periode nun wieder sehr. Zudem traten ganz neue Symptome auf. Die Haut fühlte sich sehr heiß an, vor allem an den Händen.« Mrs. Erskine streckte Mrs. Mowatt wie zum Beweis beide Innenflächen entgegen. »Und nach dem Essen brannte mir der Magen. Auch hatte ich morgens einen fauligen Geschmack nach verdorbenem Fleisch auf der Zunge, und wenn ich aufstieß, roch es nach faulen Eiern. Dazu traten plötzlich starke Verstopfungen und Kopfschmerzen auf, obwohl ich doch vorher an Durchfall gelitten hatte. Auch Wein vertrug ich nun nicht mehr und …«
»Oh, ich bitte Sie, hören Sie auf!« flehte Cora Mowatt. »Das alles ist ja schrecklich, geradezu furchterregend! Wenn ich Ihnen zuhöre, kann ich Gott auf Knien danken, daß er mir nicht mehr zumutet als ab und zu eine Stimmbandentzündung.«
»Sie irren, meine Liebe, was mir passiert ist, war nicht Gottes Schuld, sondern die der Ärzte«, antwortete Mrs. Erskine ungerührt. »Obwohl nicht zu übersehen ist, daß sie sich manchmal mit unserem Herrgott gleichsetzen.«
»Und nun? Ich meine, konnte Dr. Hahnemann Ihnen helfen?«
»In der Tat, er konnte mir helfen. Ich war schon seine Patientin, bevor er nach Paris kam, und kann Ihnen darum, was den gynäkologischen Befund betrifft, bereits einen abschließenden Bericht geben. Alle meine Beschwerden traten durch die homöopathische Behandlung noch einmal auf. Diesmal in umgekehrter Reihenfolge. Jedoch immer nur für kurze Zeit. Nach zwei Monaten ging es mir wieder gut, und ich konnte mich mehr oder weniger als geheilt betrachten. Dagegen stehen vierzehn qualvolle Jahre in den Händen von Allopathen.«
»Und weshalb sind Sie heute hier?«
Mrs. Erskine sprach nun wieder französisch. »Ich komme regelmäßig aus Schottland nach Paris, um liebe Freunde zu besuchen. Da Dr. Hahnemann nun hier praktiziert, nutze ich die Gelegenheit, ihn aufzusuchen. Kontrollbesuche, wenn Sie so wollen. Ich bin sehr glücklich über seinen Umzug nach Paris und hoffe, man wird hier bald wissen, was man an diesem Mann hat.«
Die beiden Damen hoben den Kopf, denn die Tür ging auf, und drei neue Patienten betraten den Salon. Eine Frau in Begleitung eines jungen Mädchens, außerdem ein Mann, dessen Erscheinung vermuten ließ, daß er nicht zu den Leuten gehörte, die sich einen Arzt leisten konnten. Aber vielleicht war er ja auch nur ein Bote, der eine Nachricht überbrachte oder ein Medikament abholte, überlegte Sébastien.
Der Mann sah sich schüchtern um, nickte zur Begrüßung den anwesenden Personen zu und stellte sich dann etwas abseits ans Fenster.
Kurz darauf erschienen auch Madame Hahnemann und Lord Elgin wieder. Lord Elgin küßte ihr die Hand, grüßte die übrigen Anwesenden und verließ den Raum durch die Tür, durch welche die drei Neuankömmlinge gerade gekommen waren.
Mélanie ging auf den Mann zu, der am Fenster stand. Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln und erkundigte sich nach seinem Befinden.
»Danke, es geht mir unverändert gut, Madame Hahnemann. Ich bin Ihnen so dankbar, Sie haben mich geheilt! Ich bin auch nur gekommen weil …« Er drückte ihr etwas in die Hände, das in eine Tuch eingeschlagen war. »Das wollte ich Ihnen geben. Es ist geräucherter Schinken von meinem Schwager. Er hat einen Bauernhof in Villeneuve. Vielen Dank, Madame Hahnemann, danke für alles!«
Mélanie schüttelte den Kopf. »Ich hatte Ihnen doch gesagt, die Behandlung kostet für Sie nichts.«
»Das ist ja auch keine Bezahlung, es ist nur ein kleines Geschenk, eine Dankbarkeit – ich bitte Sie, nehmen Sie es an, sonst beschämen Sie mich.«
»Also gut.« Sie legte eine Hand auf seinen Arm. »Aber versprechen Sie mir, daß Sie wiederkommen, falls Ihr Zustand sich verschlechtert.«
»Ja, Madame, das verspreche ich.« Er verneigte sich, dann ging er zur Tür, und Mélanie wandte sich der Mowatt zu.
»Madame – bitte folgen Sie mir.«
Es verging noch einmal mehr als eine Stunde, bis Sébastien endlich an die Reihe kam. Neugierig folgte er der blonden Gazelle, wie er Mélanie insgeheim nannte, in das angrenzende Ordinationszimmer.
Der Raum war viel einfacher eingerichtet als der Salon, in dem er gewartet hatte. In der Mitte des Zimmers stand ein langer Tisch. An seinem Ende, auf einer etwas erhöhten Plattform, befand sich ein schlichter Schreibtisch, auf dem sich einige Bücher türmten und außerdem ein offenes, unbeschriebenes Buch lag, neben dem ein Tintenfaß
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