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Haie an Bord

Haie an Bord

Titel: Haie an Bord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bert …« Sie schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich hinunter. Die glatte, zitternde Wärme ihres Leibes betäubte ihn fast, und was seine Hände ertasteten, war erfaßte, Materie gewordene Seligkeit.
    »Ich will ewig leben –«, sagte Eve einmal in dieser Nacht. »Ewig leben! Ewig, das heißt: Solange du lebst! Wie ist es möglich, daß zwei Menschen sich so göttlich lieben können …«
    Unter ihnen, zehn Meter tief, zwischen den Schotten fünf und sechs, klebte der Tod in einer dunklen Ecke. Er sah aus wie eine kurze, pralle Blutwurst, die ein Witzbold an die Wand genagelt hatte.
    Am nächsten Nachmittag hatte die ›Fidelitas‹ ihre laut beklatschte Abwechslung.
    Die Bordkapelle spielte flotte Swings und Cowboyweisen, am Mast flatterte die gelbe Fahne, die Offiziere erklärten den Sinn der Übung und verteilten Merkblätter, die in der kleinen Borddruckerei schnell noch in der Nacht auf einer Offsetmaschine gedruckt worden waren.
    »Alle Mann in einer Reihe angetreten –«, rief ein deutscher Passagier und hieb sich auf die Schenkel, »das erinnert mich an den Kommiß. Vortreten, Hose runter, nach vorn bücken, Backen auseinander, ein Blick ins dritte Auge – k.v. der Mann. Wegtreten! Und dafür bezahle ich jetzt fünftausend Mark! Wenn ich das am Stammtisch erzähle, bringen die mir ein Ständchen vom Sanitätsgefreiten Neumann.«
    Zuerst kam die Mannschaft dran. Dr. Wolff war der Ansicht, daß der unbekannte Irre nicht unter dem Personal, sondern unter den Passagieren zu finden sei. Er schleuste die Mannschaften durch, indem er Mann für Mann nur schnell in den Hals blickte, sie »Ah!« sagen ließ, ihnen in die Bauchdecke kniff (was immer und bei allen Patienten große Wirkung zeigt, denn dort im Bauch schlummern für einen Menschen die meisten Geheimnisse) und dann wieder hinausschickte. Dort warteten in den Gängen die Passagiere und fragten die bereits untersuchten Matrosen.
    »Muß man sich ganz ausziehen?« rief eine ältere Dame. Ihr Gesicht stand in Flammen. »Völlig aus?«
    »Völlig, Madame …«
    »Oh!« Die Dame holte tief Luft. In ihre müden, trägen Augen fiel ein Hauch von Glanz. »Endlich ein junger, gründlicher Arzt!« Dann drängte sie sich durch die Reihen zurück zu ihrer Kabine, um sich dort noch einmal an exponierten Stellen mit Parfüm einzusprühen.
    In der Reihe der Wartenden standen auch die vier ehrenwerten, vornehmen Herren. Sie trugen weiße Blazer und auberginefarbene Hosen.
    Stewards reichten Fruchtsaftgetränke herum.
    Dr. Wolff arbeitete wie eine gutgeölte Maschine. Ein scharfer Blick, Mund auf, in den Rachen geblickt, »Ah!«, Kniff in die Bauchdecke, noch ein scharfer Blick. Der nächste. Kann man so einen Irren erkennen?
    Nein, dachte er. Oder vielleicht doch? Im Hintergrund eines jeden Menschenauges hockt ein winziger Teil seiner Seele, drückt sich ein Bote seiner Gedanken herum, lauert das Unbewußte, das Untergründige, das andere Ich. Dort irgendwo in den Augen lebt ein zweiter Mensch, und sein Gastgeber kennt ihn oft gar nicht selbst. Aber er ist da … denn gibt es etwas Gespalteneres als eine Menschenseele?
    Dr. Wolff dachte an das komplizierte Wesen, das Eve Bertram hieß, und untersuchte weiter.
    Es war ein verzweifeltes Suchen, denn er spürte seit diesem Tag, daß sie nicht nur über ein herrlich in der Sonne glänzendes Meer, sondern über ein noch unerklärbares Grauen fuhren.
    Vier Tage lang marschierten Passagiere und Mannschaften durch das Untersuchungszimmer Dr. Wolffs. Die Herren machten Witze, die Damen waren enttäuscht, daß man nicht verlangte, sich vollständig auszuziehen. Als letzter marschierte Lord McHolland ins Schiffslazarett, legte seine Pfeife in den Aschenbecher und zog die weiße Leinenjacke aus. Wolff winkte ab.
    »Sie nicht, Lord McHolland.«
    »Warum nicht? Vielleicht schwitze ich eine Cholera aus?«
    »Sie wissen genau, was dieses Theater soll.«
    »Natürlich.« McHolland setzte sich und steckte die Pfeife wieder zwischen die Zähne. »Und das Ergebnis?«
    »Mager.«
    »Oha! Also nicht beschissen? Sie haben etwas entdeckt?« Er beugte sich vor, seine sonst etwas gelangweilten grauen Augen belebten sich. »Wer ist der Terrorknabe?«
    »Es gibt drei Gruppen von Menschen, die sich bei einer solchen Untersuchung deutlich unterscheiden: Die einen haben Angst, krank zu sein, die anderen fassen es als Abwechslung auf, die dritte Gruppe aber wehrt sich innerlich, krank zu sein. Sie ahnt Gefahr und stemmt sich dagegen.

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