Haie an Bord
Explosion überleben würde, hatte Grauenhafteres vor sich. Seit fünf Stunden umkreisten Hairudel die ›Fidelitas‹, angelockt vom Geruch der Abfälle, die vor allem aus den Küchen über Bord kamen. Die dreieckigen Rückenflossen durchschnitten das Meer wie bizarre Messer … mit weiten Augen starrten die Menschen über die Reling auf die wendigen, grauen, torpedoähnlichen Leiber. Überall waren sie, rund um das Schiff … ein mitleidloser, gefräßiger, gräßlicher, unentrinnbarer Tod.
»Ein Funkspruch des US-Flugzeugträgers ›Rangers‹«, sagte Bergson und reichte White einen Bogen Papier. »Was soll ich antworten?«
Der I. Offizier Abels, der neben White stand, beugte sich vor. Der Funkspruch lautete: »Kommission bittet, an Bord kommen zu dürfen zwecks Verhandlungen.«
»Es gibt nichts zu verhandeln«, sagte White. »Aber sie sollen sehen, wie die Lage ist.« Er zerriß den Funkspruch und tippte Bergson gegen die Brust. »Antworten Sie, Bergson: Zwei Mann im Offiziersrang dürfen unbewaffnet an Bord.«
»Was haben Sie vor?« Abels überblickte den Berg der Wertsachen auf dem Tisch. Hier hilflos herumzustehen, war etwas Schreckliches. Genau wie die Passagiere hatten auch die Offiziere die Lage diskutiert und waren auf den Nullpunkt zurückgekommen. Zusehen und abwarten. Die Ohnmacht vor dem Terror, der nichts zu verlieren hat und der alles gewinnt, wenn ein Menschenleben zum Wertlosesten dieser Welt wird. »Wollen Sie die amerikanischen Offiziere auch noch als Geiseln festnehmen?«
»Diese Idee kann nur ein Dilettant aussprechen«, sagte White geringschätzig. »Bisher haben wir einen Haufen Individuen zum Gegner, aber keinen Staat. Wir werden uns hüten, politisch zu werden. Nein, ich möchte die amerikanischen Herren an Bord lassen, um letzte Unklarheiten auszuräumen.«
Der Funkspruch ging hinaus … eine halbe Stunde später kreiste ein Hubschrauber der ›Rangers‹ um die ›Fidelitas‹, setzte mit anmontierten Schwimmern neben der hohen Bordwand auf dem durch die untergehende Sonne goldfarbenen Meer auf und schwamm langsam zu einer heruntergelassenen Strickleiter.
White und Filippo warteten oben an der Tür im Fallreep. Tomaso Colezza stand am äußersten Ende der Kommandobrücke. Von hier aus mußte ihn der versteckte Benzoni sehen … eine Überraschung war also ausgeschlossen.
»Jetzt leben wir von Sekunde zu Sekunde –«, sagte Kapitän Meesters zu seinen Offizieren. Seine Stimme klang wie gefroren. »Hoffentlich verkennen die amerikanischen Kameraden nicht die Situation und machen keine Dummheit. Ich habe ihnen alles deutlich genug erklärt … und außerdem blickt jetzt die ganze Welt auf dieses kleine, mistige Stückchen Meer vor einer Küste, deren Namen kaum einer kennt …«
Der Hubschrauber glitt mit stehenden Rotorblättern an die Bordwand. In einem Halbkreis, mordgierig und furchtlos, umschwamm ihn das Rudel Haie.
Dr. Wolff hatte niemand aufgehalten, als er nach Beendigung der Operation das Lazarett verließ. Selbst Colezza, froh darüber, nicht mehr Blut zu riechen und gespreizte Wunden sehen zu müssen, fragte nur: »Was machen Sie jetzt, Doc?«
»Ich lege mich hin und ruhe mich aus. Wenn Sie neue Arbeit für mich haben, merke ich das früh genug.«
Er griff in seine Rocktasche und holte die Brieftasche heraus: »Bitte, mein Anteil. 170 Mark, elf englische Pfund und neun Dollar … das ist alles, was ich habe. Mein Gehalt wartet in Bahrein auf mich. Es tut mir leid, nicht mehr beisteuern zu können. Auch Privatvermögen besitze ich nicht.«
»Sie zahlen nichts. Befehl vom Chef.« Colezza hielt Wolff die Brieftasche wieder hin. »Auch die Dame da –«, er nickte hinüber zu Eve Bertram, die ihren weißen, blutbespritzten Kittel auszog und in eine emaillierte Tonne warf, für die Bordwäscherei. »Keinen Cent. Wir sind über alles unterrichtet. Ein geschorenes Schaf kann man nur noch schlachten, und das wollen wir natürlich nicht.«
»Danke.«
Wolff hakte Eve unter und verließ ungehindert das Lazarett. Die beiden Verwundeten wurden auf ihren Tragen hinausgeschafft und nebenan, in dem kleinen Bettenteil des Schiffslazaretts, in die festgeschraubten Betten gelegt. Die kleine Krankenschwester übernahm die erste Wache.
In seiner Kabine fiel Wolff in einen der alten englischen Ledersessel und legte den Kopf weit zurück. Hier war vollkommene Stille … die Mahagonimöbel, das grüne Leder der Bezüge, der Schreibtisch mit Benders Notizen und Karteikarten,
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