Haie an Bord
Aufzeichnungen und Akten … das alles atmete Gelassenheit aus, Abgeklärtheit von über 30 Jahren Arztsein, die Überlegenheit eines vollendeten, besiegten Lebens.
»Was würde Dr. Bender an meiner Stelle tun?« fragte Wolff. Er streckte die Hände aus, Eve setzte sich auf die Lehne des Sessels und schlang die Arme um seinen Nacken. Ihr rotgoldenes Haar überflutete sein Gesicht, und in diesem Gewirr aus gesponnenem Feuer leuchteten ihre Phosphoraugen.
»Nichts!« sagte sie. »Er hätte sich jetzt eine Zigarre angesteckt, nehme ich an. Ich habe ihn nur eine Stunde lang gesehen … dann kamst du an Bord. Aber ich glaube, er hätte das alles hier mit Ruhe angesehen.« Sie legte den Kopf auf seine Schulter, küßte sein Ohr und seine Nackenbeuge, und es tat gut, sie so nahe zu fühlen, ihre Wärme zu spüren, den Duft ihrer Haut zu atmen.
»Willst du mich heiraten?« fragte Wolff.
»Nein –.«
Er wollte sich aufrichten, aber sie hielt ihn fest.
»Warum nicht?«
»Als Geliebte bin ich phantastisch – als Ehefrau versage ich. Soll alles wieder von vorn beginnen? Es genügt, daß ich nicht sterben werde, solange es dich gibt. Zufrieden?«
»Nein! Du bist eine wundervolle Frau, Eve. Wir werden immer zusammenbleiben.«
»Immer ist ein Wort, das man den Menschen verbieten sollte. Nichts ist bei einem Menschen immer.« Sie ließ ihn los und sprang vom Sessel, ehe er sie festhalten konnte. »Du bist müde«, sagte sie. »Ich hole dir einen Tee. Die Köche, die Stewards, alle sind im Saal … Bleib sitzen, Bert.«
Wolff nickte und schob die Beine von sich. Eine selige Schwerelosigkeit überkam ihn, und er schlief ein, kaum, daß Eve die Kajüte verlassen hatte.
Er wachte auf, weil sie ihn küßte. Es war dunkel geworden, die Lampen brannten. »Genug geschlafen«, sagte sie. »Zwei Stunden. Mein Lieber, du schnarchst, weißt du das?«
»Alle Männer schnarchen.« Er setzte sich hoch, griff nach dem Tee – er war noch heiß, sie hatte ihn also gerade erst geholt – und schlürfte ein paar Schlucke. Sie hatte Rum und Zitronensaft dazugemischt, es belebte und erfrischte.
»Den Verwundeten geht es gut«, sagte Eve. »Sie schlafen. Aber an Bord kommen jetzt zwei amerikanische Offiziere, da solltest du oben sein. Irgend etwas geschieht jetzt …«
Wolff trank die Tasse leer, knöpfte die Uniform zu und stieg nach oben an Deck. Überall standen erwartungsvolle Passagiere herum, Colezza stand oben auf der Kommandobrücke und nickte Wolff freundlich zu. Lord McHolland saß in einem Liegestuhl neben der Reling und beobachtete das Anlegen des Hubschraubers mit den breiten Schwimmkufen.
»Das wird jetzt kritisch«, sagte er, als er Wolff und Eve Bertram sah. »Doktor, schicken Sie das hübsche Frauchen unter Deck … wenn's knallt, steht sie da auch keiner verirrten Kugel im Weg. Ich glaube nicht, daß die vier Gauner so gerne ihr Leben riskieren … das sind keine politischen Fanatiker, die für Allah, Lenin, Palästina oder sonst einer heiligen Kuh ihr Leben opfern, diese vier Ehrenmänner wollen Geld verdienen, weiter nichts. Ich verstehe nicht, warum sie hier alle ihre Hosen zubinden, ich würde es darauf ankommen lassen … aber ein alter Mann wie ich ist ja der Idiot vom Dienst. Da, die amerikanischen Offiziere. O Doktor, ich darf jetzt nicht an meine Indienzeit denken!«
Wolff legte den Arm um Eves Schulter und ging nach vorn zur Relingtür. An der Bordwand tauchte jetzt der Kopf des ersten Amerikaners auf, dann der ganze Körper. Ihm folgte dichtauf der zweite Offizier. Als sie an Deck standen, vollzog sich das alte Ritual der Seeleute. Sie grüßten und sagten: »Kapitänleutnant Forbes und Oberleutnant zur See Hawkins bitten um Erlaubnis, an Bord gehen zu dürfen.«
»Erlaubnis erteilt«, sagte White, bevor Kapitän Meesters etwas sagen konnte. Er schien sogar davon etwas zu verstehen. »Ich habe Sie nur an Bord gelassen, Gentlemen, um Ihnen die Lage zu zeigen. Bitte, kommen Sie mit, Kapitänleutnant! Nein, Sie nicht, Oberleutnant.«
White ging voraus, und es war niemand da, der ihn aufgehalten oder den Versuch gemacht hätte, ihn zu überrumpeln. Man brauchte nur nach oben zu sehen zur Brücke, wo Colezza stand … ein Wink, und die ›Fidelitas‹ würde ein feuerspeiender Vulkan.
White stieg mit Kapitänleutnant Forbes hinunter in die Maschinenräume. Auch hier waren sie allein … alle Maschinisten hatten sich im Salon III versammeln müssen. Hinter dem Schott Nr. 6, zwischen einem Heizungsrohr und einem
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