Haie an Bord
Edelsteinen und Banknoten, Münzen und noch Geheimnisse umhüllenden Geldbörsen und Brieftaschen.
Dazwischen, nüchtern wie ein Auktionator, Whites Stimme, Namen und Zahlen ausrufend:
»100.000 Dollar … 10.000 Dollar … 200.000 Dollar … 60.000 Dollar … 35.000 Dollar …« Und einmal, mit einer kleinen Verbeugung vor einem älteren Ehepaar: »100 Deutsche Mark, nur eine ideelle Gebühr. Ich weiß, Sie haben für diese Reise vier Jahre von Ihrem Gehalt gespart. Das gleiche gilt für das Ehepaar Müller aus Wattenscheid. 100 Mark, keine Abgabe der Wertsachen!«
Kapitän Meesters kam auf die Bühne, obwohl er noch nicht aufgerufen war. White blickte ihn kritisch an, Filippo schwenkte die Maschinenpistole herum.
»Was ist, Sir?« fragte White.
»Über uns kreisen drei Hubschrauber der US-Marine.«
»Funken Sie, sie sollen verschwinden. Benzoni ist ein nervöser Mensch … wenn er auf den Knopf drückt, wird das hier zum Vulkan, der Menschen ausspuckt.«
»Ich glaube, Sie sind wirklich wahnsinnig«, sagte Meesters. »Sie kommen doch mit diesem Raub niemals an Land! Und die Bank in Montevideo wird doch sofort besetzt.«
»Welch ein Irrtum, Sir.« White hakte einen neuen Namen auf seiner Liste ab. »Es handelt sich um freiwillige Privatüberweisungen … wer will das verhindern? Man kann in einem freien Land doch keine Bank besetzen, wenn viele Gelder eingehen …«
»Die Botschafter der betroffenen Staaten werden …«
»Nichts werden sie, Sir! Diplomatische Verwicklungen, Krisen, Kriegsdrohungen, Repressalien wegen ein paar Reichen, denen wir ein Trinkgeld abnehmen? Aber nein!« White winkte. Der nächste. »125.000 Dollar. – Die Welt wird wieder Turnübungen am Reck des Entsetzens und der Entrüstung vollführen, ein paar Riesenwellen drehen und sich dann zufrieden abfrottieren. Die Pflichtübungen sind getan. Noch dreht sich die Erde weiter … und das eigene Nest ist sicher. Der Begriff der Bruderschaft ist doch nur ein laues Kanzelwort konservativer Pfarrer.«
In der Funkkabine drängten sich die Männer und Frauen, um ihre Lösegeldsummen an die heimatlichen Banken zu telegrafieren. Bergson und der II. Funker arbeiteten wie früher die Kesselheizer. Über der ›Fidelitas‹ kreisten knatternd drei amerikanische Hubschrauber. Sie schienen Fotos zu machen.
Um 17 Uhr unterbrach White die Sammelaktion. »Fünf-Uhr-Tee!« rief er. »Meine Damen und Herren – wir treffen uns hier um 19 Uhr wieder.«
Die Menschen drängten aus dem Festsaal. Über ein Zentralmikrofon, das mit allen Lautsprechern im Schiff verbunden war, rief Meesters alle Passagiere und Mannschaften auf, sich weiterhin ruhig zu verhalten.
»Es kommt Hilfe«, sagte er. »Wir sind nicht mehr allein. Man hat in Kapstadt einen internationalen Krisenstab gebildet.«
Kapstadt! Wie weit war das! Ein Krisenstab! Was konnte er tun? Reden … reden … reden … Wenn man auf sieben Bomben sitzt, wirkt alles, was man draußen sieht, so ungereimt, so schrecklich, so widerlich lächerlich …
Von drei Seiten nahten sich der ›Fidelitas‹ Kriegsschiffe und andere Dampfer.
Aber auch an Land, gegenüber in Salala, im Sultanat Dhufar, erwachte eine rege Tätigkeit. Da gab es einen Mann, der hieß Sabah Salim und der rechnete sich aus, wieviel Millionen dort drüben, in Sichtweite, auf dem Meer schwammen – auf einem Meer, das rechtlich zum Sultanat Dhufar gehörte.
Es waren tödliche Überlegungen …
Gegen Abend … ein glutendes Abendrot überzog Himmel und Meer, und als die Sonne in die Wellen zu tauchen schien, war es, als schmölze das Meer und würde zu Gold … kam Bergson mit einem Funkspruch in den Festsaal. Die letzten sechsundvierzig Passagiere warteten auf ihren Namensaufruf, die bereits Abkassierten saßen in den Salons und Speisesälen herum, diskutierten das Erlebnis, entführt, erpreßt und Geisel zu sein und entwarfen Pläne, wie die Welt da draußen reagieren müsse, ohne für alle eine Gefahr heraufzubeschwören. Es waren Kreisgespräche, denn immer kam man auf den Anfang zurück: auf das große Fragezeichen.
Der lange ›Sammeltisch‹ war hoch bedeckt mit den abgelieferten Wertsachen. Filippo und Colezza kämmten jetzt die Kabinen durch, von Carlo Benzoni mit seinem höllischen Funkgerät war nichts zu sehen. Geduldig wartete er irgendwo in einem Winkel des Schiffes, versteckt und jede Sekunde bereit, mit einem einzigen Knopfdruck vierhundert Menschenleben auszulöschen. Denn Rettung gab es nicht mehr … wer die
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