Haie an Bord
McHolland riß sich los. »In spätestens einer halben Stunde liegen wir in einem Samum …«
Bender ließ kraftlos den Arm los. »Aber wieso denn?« stammelte er entgeistert.
»Wieso nicht? Blicken Sie mal zum Horizont … dort, wo das zärtliche Windchen herkommt! Ha?«
Bis jetzt hatte kaum einer gemerkt, daß es fast windstill war. Jetzt spürten es alle, und plötzlich wurde auch das Atmen schwer. Am Horizont stieg der Tag auf … aber ein graugelber, milchiger, unklarer, fahler, von der Sonne nur mühsam durchdrungener Tag.
»Samum«, sagte Dr. Bender erstarrt. »O mein Gott!« Dann wurde er so schnell wie nie in seinem Leben und rannte zu den Wassersäcken. McHolland schleppte einen Sack mit Trockenfleisch zu dem Kamelknäuel, Abels schleifte die Zeltplanen durch den Sand. Samum … der tödliche Sandsturm der Wüste.
Der Wind, der Millionen Zentner staubfeinen Sandes vor sich hertreibt. Der Wind, der in der Wüste die Landschaft verändert, Berge wandern läßt, neue Täler aufreißt, Oasen und Dörfer verschluckt, alles, was sich ihm in den Weg stellt, unter Sand vergräbt.
Samum, die Geißel Allahs …
Wolff weckte Eve, erklärte ihr mit einem Satz, was da mit dem neuen Morgen auf sie zubrauste, und half dann, alles zu den Kamelen zu schleppen. Von ganz fern hörte man jetzt ein hohles Pfeifen, einen widerlichen, anhaltenden Ton.
Der Tod pfiff vor Vergnügen.
Und dann war der Sandsturm da … Eng an die Kamele gedrückt, die nassen Tücher über die Gesichter, Decken und Planen über sich gezogen, zusammengekrochen, so eng es ging, erlebten sie, wie tausend und abertausend sandige Fäuste auf sie niedertrommelten. Ein Heulen umschrie sie, der staubfeine Sand drang in jede Ritze, klebte wie Brei an den nassen Tüchern, saugte die Luft einfach weg … es wurde qualvoll, zu atmen.
Wolff hatte Eve umarmt … sie lagen, wie in Liebe vereint, nebeneinander, ineinander verklammert, und sie wußten, daß es jetzt die letzte, verzweifelte Zärtlichkeit sein würde, aus der sie der Tod wegholen sollte.
Die Welt löste sich auf. Der Himmel zerbarst. Die Sonne erlosch. Es gab nur noch Sand … Sand … wirbelnden, heulenden, rasenden Sand. Wandernde Gebirge aus Sand.
Und acht Kamele und fünf Menschen, über die die Berge aus Sand herunterstürzten.
Dr. Bender war der erste, der versuchte, die Sandlast, die auf ihm ruhte, zu durchbrechen. Unter einer Decke und einer Zeltplane, den Kopf mit einem nassen Tuch umwickelt, lag er zusammengerollt wie ein Igel, preßte ein anderes nasses Tuch vor Mund und Nase und konnte doch nicht verhindern, daß sein Gaumen und die Naseninnenwände sich mit Staub überzogen und jedes Schlucken wie das Herunterwürgen eines ekligen Breis war.
Als das Heulen erstarb und nur noch der Sand in langen dünnen Fäden über den Boden wehte, mitgerissen von dem Sog des weiterziehenden Samums, drückte Bender mit den Schultern gegen den Berg, der auf ihm lag.
Er wunderte sich, daß er noch lebte. Es war ihm ein Rätsel, daß er sich bewegen konnte. Die Last auf ihm sickerte weg, er schob vorsichtig den Arm nach oben, griff in Sand, nahm alle Kraft zusammen und schnellte auf. Es gelang. Er durchstieß den Sandhügel, ein geradezu köstlicher Wind umwehte ihn, er konnte atmen, auch wenn er dabei wieder Sand einsog, aber was bedeutete das schon? Über ihm glutete wieder die Sonne, wölbte sich ein wolkenloser blauer Himmel, gab es Luft, herrliche Luft, himmlische Luft, zwar heiß, aber – o Gott, ich danke dir – Luft, die mit jedem Atemzug in die kleinsten Poren seines Körpers zu strömen schien und das Leben in ihm wieder anfachte.
Er reckte sich, breitete die Arme aus, und während er pfeifend atmete, starrte er auf die bleichgelbe Wand, die weiter nach Süden wanderte und dort Himmel und Erde zusammenschmolz zu einer schrecklichen Einheit.
Die acht Kamele hatten sich auch befreit, sobald der Sturm nachgelassen hatte. Ihre häßlichen Köpfe ragten aus den Sandhaufen, als habe man sie lebendig begraben und nur den Kopf übriggelassen als Ersatz für einen Grabstein.
Die Hügel neben ihnen mußten McHolland, Abels, Wolff und Eve Bertram sein, die Sättel, die Verpflegungssäcke, die Wasserschläuche aus Ziegenfell.
In Bender stieg eine heiße Angst empor. Die Stille um ihn herum schrie ihn an. War er mit den Kamelen der einzige Überlebende? Hatte der Sandsturm die anderen erstickt? Sollte er allein durch diese Einsamkeit reiten, einfach immer geradeaus, bis er auf eine Oase und
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