Haie an Bord
Menschen traf oder früher oder später aus dem Sattel fiel und im Sand verreckte? Ein Pokerspiel mit dem Schicksal um sein Leben: immer geradeaus … ein einzelner Mensch mit acht Kamelen in einem Meer von Sand?
»Verdammt, liegt nicht so herum!« brüllte er. »Es ist vorbei! Die Sonne scheint! Es gibt Luft! Luft! Rührt euch doch!«
Die Stille saugte seine Stimme auf – er konnte nicht feststellen, ob sie aus ihm herauskam oder schon gleich vor den Lippen im Gluthauch der Sonne vertrocknete.
Bender tat ein paar tappende Schritte, fiel vor dem am nächsten liegenden Sandhaufen in die Knie und begann, in ihm mit den Händen zu wühlen. Er faßte nach einer Plane, riß daran, schaufelte den Sand weg und hieb mit der Faust auf den unförmigen Klumpen unter sich.
»Herein!« antwortete eine dumpfe Stimme. Dann ging sie in einem Hustenanfall unter. Dr. Bender wühlte sich weiter durch den Sand.
»McHolland!« schrie er. »Lord! Luft! Bewegen Sie sich doch! Zum Teufel, sind Sie verletzt? Worauf warten Sie noch?«
Das Husten hörte auf. »Sie müssen dreimal klingeln …«, sagte McHolland und kroch aus dem Sand heraus, das Gesicht durch ein Tuch schützend, das er mit beiden Händen andrückte. Dr. Bender starrte ihn entgeistert an. »Euer Lordschaft, lecken Sie mich am Arsch!« sagte er dann aufatmend. »Was haut Sie eigentlich um?«
»Ich habe meine Pfeife verloren.« McHolland blickte sich suchend um. Irgendwie hatte sich die Wüste verändert. Neue Sanddünen, neue Täler, glatte Kuppen … eine von Riesenhänden abgeschliffene Landschaft. »Als ich weglief, um den Sack mit dem Fleisch zu retten, fiel sie mir aus dem Mund. Eine Tragödie!«
»Vielleicht landet sie jetzt in Hadramaut vor den Füßen eines Eselstreibers.«
»Ein armer Mensch, der Allah anflehen soll. In der Pfeife war die Giftkapsel. Wenn er sie raucht …«
Dr. Bender schwankte zu den anderen Sandhügeln. Dort regte sich etwas, zaghaft, tastend, wie vor wenigen Minuten er selbst, nicht glaubend, daß man ohne Schaden durch die Hölle geblasen worden war.
»Helfen Sie mit, McHolland!« lallte Bender. Eine tiefe Schwäche überfiel ihn. Wie lange halte ich das aus, dachte er. Diese Hitze, diesen Sand, diesen ewigen Wind, der einen vollstaubt, diese verdammte Sonne, die alles aus einem heraussaugt, bis man nur noch eine trockene Pelle ist. Aber er tappte weiter, kniete vor dem nächsten Sandhaufen und wühlte sich mit beiden Händen hinein. Neben ihm erschien McHolland, seine Golfmütze auf dem Schädel, ein Stück Holz aus irgendeinem Sack zwischen den Lippen. Er sog an ihm wie an einer Pfeife.
»Ich habe eine kleine Schaufel gefunden«, sagte er. »Im Werkzeugsack. Er lag vor mir. Ich Rindvieh habe das von außen für Konserven gehalten.«
»Und die Konserven?« Bender keuchte.
»Müssen hier sein. Die können nicht nach Hadramaut fliegen.«
Mit der kleinen Schaufel an dem kurzen Stiel ging es schneller. Sie gruben Fritz Abels aus, der aus seiner Decke und hinter seinem um den Kopf gewickelten Tuch auftauchte wie ein Gespenst. Auch er atmete mit Atemzügen, die in der Stille so laut waren, als jammere ein defekter Blasebalg.
»Sie leben wirklich!« sagte Bender, als Abels um sich stierte. Seine Lippen waren aufgesprungen, er wollte etwas sagen, aber er kam sich vor wie mit Sand ausgestopft.
McHolland grub schon dort, wo Wolff und Eve liegen mußten. Dort rührte sich nichts. Bender schwankte zu ihm, nahm ihm die Schaufel aus der Hand und schleuderte wie ein Irrer den Sand nach allen Seiten weg. Als er die Plane freigelegt hatte, hielt er ein und lehnte sich gegen McHolland.
»Keine Bewegung –«, sagte der Lord. Bender nickte. Ein unbekanntes Gefühl überflutete ihn, ein solcher innerer Schmerz, daß es ihn drängte, laut zu heulen. Er biß die Zähne zusammen, um diesen schrecklichen Laut zurückzudrängen, und wußte, daß dieses Gefühl ein Vater haben mußte, wenn er seinen Sohn mit seinen eigenen Händen ausgraben würde. Einen Sohn, der nicht mehr war …
»Sehen Sie nach, Lord«, stammelte Bender. »Ich kann es nicht. Zum erstenmal im Leben kann ich etwas Notwendiges nicht. Ich habe Leichenberge gesehen … im Krieg, auf den Straßen der verbrannten Städte, in Kellern, die wir freilegten, im Phosphorfeuer zusammengeschrumpfte Leichen von Kindergröße oder Tote wie aus Zement geformt, graue, zerbrochene Puppen … aber hier … ich kann es nicht mehr, Lord –.«
Fritz Abels kam heran. Er zerrte an der Plane, aber die
Weitere Kostenlose Bücher