Halb verliebt ist voll daneben - Roman
jeder amtlichen Erziehungsinstitution durchgefallen. Außerdem hätte ich für die Gestaltung des Speiseplans Jamie Oliver gut an meiner Seite brauchen können.
»Oooh, das sieht aber köstlich aus«, erklärte sie kategorisch, wenn ich ihr was ans Bett brachte – meistens Brokkoli. »Eine derartige Vielfalt, Sarah. Wie machst du das nur?«
»Es ist mir unangenehm, wenn du meine Kochkünste preist, Rachel«, wehrte ich dann verschämt ab. »Es ist eine Gabe.«
»Wie hast du das zubereitet?«, fragte sie, atmete tief ein und gab vor, das Aroma zu genießen.
»Also, ich habe es vier Wochen lang mariniert und dann mit etwas Knoblauch und Chili im Wok geschwenkt, dazu kamen ein paar Kräuter aus dem eigenen Garten und ein paar andere geheime Zutaten.«
»Komisch, es sieht aus, als hättest du das Zeug über einem Wasserkessel gegart.«
»Oh, das tut weh!«, stöhnte ich dann, weil ich in der Regel die vorangegangenen zwanzig Minuten damit zugebracht hatte, Brokkoli über einem Kessel in Dampf zu garen.
»Wie viele Michelin-Sterne hast du denn?«
Quatsch zu erzählen, war Rachels Verdrängungstaktik. Dagegen musste man vorgehen.
»Hier kommt das Flugzeug!«, schrie ich unvermittelt und aufgeregt, wenn sie so begann, bevor ich mit der Gabel voller Brokkoli durchs Zimmer stolperte, bis ich zu ihrem Mund gelangte.
»Oh, ist das dein Handy, was ich da höre?«, pflegte sie dann zu sagen, um noch etwas Aufschub für sich herauszuschinden, weil ich immer nachschaute, ob Simon sich gemeldet hatte.
Es war nie Simon. Der Einzige, der mich anrief, war Leo. Aber ich nahm seine Anrufe nicht entgegen.
»Ich kann diesen verdammten Brokkoli nicht ausstehen. Muss ich ihn essen?«, seufzte Rachel dann.
Das war immer eine schwierige Frage. Natürlich musste sie nicht. Ich war nicht zur Tyrannin geworden. Ich hatte einfach nur gelesen, dass Brokkoli gegen Krebs helfen konnte.
Also sagte ich: »Ja.«
»Ist das wirklich gut für mich?«
»Wenn man den Ärzten Glauben schenkt, ist es ein Wundermittel, aber du weißt ja, es könnte auch totaler Quatsch sein …«
Ich fühlte mich nicht wohl dabei, aber sie öffnete brav ihren Mund und ließ sich das erste Röschen hineinschieben. Dann kaute sie langsam auch den Rest.
Als Rachel am dritten Tag unseres Zusammenlebens als altes Ehepaar mal wieder mühsam ihren Brokkoli mit einem »Schlimmer-geht’s-wohl-nicht«-Ausdruck kaute, klopfte es an der Tür. Ich stand da, begutachtete ein
Paket Spinat und überlegte, wie ich ihr den anpreisen sollte.
»Gleich gibt’s Spinat, das ist mal was anderes, das wird ganz fantastisch«, sagte ich, nachdem ich beschlossen hatte, es mit aggressiver Verkaufstaktik zu versuchen. »Oh, hat da jemand geklopft?«
In der Annahme, dass es jemand vom Hotelpersonal war, ließ ich den Spinat stehen und eilte zur Tür. Ich trug meine Pyjamahose mit einem Kapuzenoberteil, was mich aber nicht kümmerte, denn das Hotelpersonal hatte sich inzwischen an die Vogelscheuche von Zimmer 117 gewöhnt.
Doch es war kein Hotelangestellter. Es war Eamonn Nigels im Anzug, der mich betreten ansah. Ihn begleiteten zwei Männer in weißen Jacketts mit Fliege. Es waren ältere Herren, die sich Geigen an ihre warmherzigen, weisen Gesichter drückten. Ich lächelte sie an. Ich liebe alte Männer mit Instrumenten.
»Nein, nein.« Eamonn wandte sich an sie und machte das Pst-Zeichen. »Gütiger Gott, nein. Das ist sie nicht.«
»Oh, Eamonn«, platzte es aus mir heraus. »Das hättest du nicht tun sollen.«
»Ist … äh … Rachel hier, Sarah?«
»Sie sagt, sie kann niemanden empfangen …« Plötzlich wurde ich beiseite gedrängt. Rachel kam auf Eamonn zugelaufen.
»Eamonn«, keuchte sie.
»Rachel. Ich will bei dir sein …«, begann Eamonn und merkte dann, dass ich immer noch da war.
Sie sahen mich beide an. Ich konnte verstehen, warum sie mich loshaben wollten, denn ich hatte bereits zu heulen
begonnen. Ich wusste, dass ich gehen sollte, aber es war so schön, und ich hatte einen so guten Platz.
»Entschuldigt, ich zieh mir nur noch ein paar Schuhe an, dann lass ich euch allein«, sagte ich.
Ich konnte meinen zweiten Flipflop nicht finden. Dann klingelte auch noch mein Handy. Ich wollte natürlich Rachels und Eamonns romantisches Wiedersehen nicht stören, aber es hätte Simon sein können. Also griff ich nach dem klingelnden und vibrierenden kleinen Ding, beschloss, den anderen Schuh zu vergessen, nahm dann aber in letzter Minute noch meinen Laptop mit, für den
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