Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
Augen.
„ Das ist nicht schlecht. Das ist ein Motiv. Wir haben zwei Mordopfer, die eigentlich nur eines gemeinsam haben: Sie waren Arschlöcher. Arschlöcher von der Größe mittlerer Binnenseen. Es gab durchaus Gründe, sie zu killen. Für jemanden sind diese Gründe eventuell nicht nur persönlicher, sondern grundsätzlicher Natur.“
Lisa freute sich, dass Fabian ihren Gedanken ernst nahm. Wie jede Frau hatte sie Angst davor, von Männern nicht ernst genommen zu werden. Im Speziellen von Männern, die gerade erst in ihrem BH gesteckt hatten.
„ Aber es gibt so viele miese Wichser“, mischte sich Rosie ein, „wieso gerade die zwei?“
„ Gute Frage“, gab Lisa zu.
„ Und außerdem waren sie auch irgendwie nicht dasselbe Kaliber“, fuhr Fabian fort. „Fritz Krumm war nur eins von diesen armen Schweinen, die ihr Leben in dumpfer Agonie fristen und sich einen Dreck um ihre Mitmenschen scheren. Charlie Sander hat aber aus seinem miesen Charakter einen Beruf gemacht. Er wollte Menschen verletzen und zerstören, das hat ihn aufgegeilt, hat ihm ein Gefühl von Macht gegeben. Er war deutlich schlimmer als Krumm.“
„ Dann könnte man vielleicht davon ausgehen, dass sich der Mörder langsam steigert. Jedes Opfer hat es noch ein bisschen mehr verdient. Die ersten sind nur so zum Warmwerden, bis der Killer sich an die großen Fische ran traut.“ Lisa fühlte sich wie elektrisiert. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, die Dinge zu kontrollieren. Endlich fühlte sie sich wirklich mal wie eine richtige Kommissarin. Und Fabian ging darauf ein.
„ Wer könnte unter diesen Voraussetzungen der Nächste sein?“ fragte er.
„ Ein Mörder“, schlug Rosie vor, „oder zumindest einer, der jemand anderen schwer verletzt hat.“
„ Ja“, meinte Lisa, „das wäre eine Steigerung. Zuerst jemand, der einem Opfer in Not nicht geholfen hat. Dann jemand, der einen Selbstmord verschuldet hat. Und dann jemand, der selber getötet hat.“
Fabian dachte nach. „Dafür ist es vielleicht noch zu früh. Möglicherweise geht es erst einmal um jemanden, der den Tod von mehreren Personen verschuldet hat.“
„ Gibt’s so jemanden in Berlin?“ fragte Lisa.
Fünfundzwanzig
Walter Fechner war anscheinend tot. Isolde, seine Frau, war keine Ärztin, aber so viel meinte sie doch erkennen zu können. Auch wenn ihr Mann ihr Selbstvertrauen in den dreißig Jahren ihrer Ehe in den Minus-Bereich gedreht hatte und sie sich inzwischen kaum noch traute, aus dem Haus zu gehen, war sie doch ziemlich sicher, dass jemand, dessen Kopf etwa anderthalb Meter von seinem Hals entfernt lag, wohl wenig Neigung hatte, heute noch zum Frühstück zu erscheinen.
Nachdenklich saß sie auf dem Bett, das in dem größeren der beiden Einzelschlafzimmer im Haus der Fechners stand, zu Füßen ihres Mannes, und betrachtete die Stelle, an der vorher wohl sein Kopf gelegen haben mochte. Der speckige Hals des Mannes war etwas zerfleddert, es sah ziemlich unnatürlich aus. Knochen und Adern und Fleisch, alles ragte so komisch heraus, das war ziemlich unhygienisch, fand Isolde. Hoffentlich würde man sie nicht dafür verantwortlich machen, dass hier alles so dreckig war. Und so stank. Das viele Blut verbreitete einen fürchterlichen Geruch, so ähnlich wie beim Metzger, aber noch etwas beißender. Sie kam erst später darauf, was es war: Ihr toter Mann hatte wohl keine Kontrolle mehr über seinen Schließmuskel gehabt. Das war ihr nicht sofort aufgefallen, weil das seit Jahren ein Problem für ihn war. Seine Inkontinenz korrespondierte mit seiner Impotenz, und ein so großer Segen letzteres für sie war, ein umso größerer Fluch war ersteres.
Aber so langsam dämmerte ihr, dass dies wohl das letzte Mal war, dass sie den Geruch ertragen musste. Walter war tot. Irgendwie ärgerlich, fand Isolde. Ja, das musste sie doch traurig machen, fiel ihr ein, und versuchte zu weinen. Es klappte nicht.
Isolde, dein Mann ist tot. Sein Kopf liegt da vor deinen Füßen. Das ist schlimm, ganz schlimm. Du musst jetzt heulen. Das ist deine Pflicht als Ehefrau.
Als nach fünf Minuten noch keine Tränen gekommen waren, zuckte sie mit den Schultern, stand auf und rief die Polizei an. Dann überlegte sie sich, ob sie das Haus behalten sollte oder von dem Geld, der Lebensversicherung und der Witwenrente den Rest des Lebens glücklich sein wollte. Sie war in Gedanken schon auf Mallorca, als die Polizei eintraf. Als die Ärzte und die Spurensicherung an die Arbeit gingen,
Weitere Kostenlose Bücher