Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)

Produktionen. Die amerikanische Kultur wurde uns doch nicht aufgezwungen, wir haben sie angenommen. Freiwillig. Mangels eigener Alternativen. Und wir nehmen nur das an, was wir auch haben wollen. Football und Baseball kriegen hier immer noch kein Bein auf die Erde. Und übrigens – du trinkst gerade ein italienisches Kaffeemischgetränk. Mir fällt auf, dass es überall italienische Eiscafés und Pizzerien gibt. Und Dönerbuden. Und China-Restaurants. Werden wir etwa auch von den Italienern, Türken und Asiaten überfremdet? Das ist auch so ein Punkt: Ihr Linken nähert euch in manchen Punkten ideell immer mehr den Rechten an. Ihr seid euch schon einig in eurem albernen Antiamerikanismus und diesem ‚Europa der Regionen’, Provinzialismus gegen Imperialismus. Multikulti ja, aber ohne Amerikaner, das ist keine Kultur, was?“
    „ Ich bin sicher, du warst begeistert, als die in den Irak einmarschiert sind. Die Amis führen Krieg für Öl und für die Rüstungsindustrie. Kapitalismus führt zu Kriegen.“
    „ Hatten wir schon. Kommunistische Staaten haben im letzten Jahrhundert viel öfter Krieg geführt“, antwortete Fabian ungerührt. „Der Irak-Feldzug war ein völkerrechtswidriger Angriff ohne vertretbaren Grund, ohne dass alle friedlichen Mittel ausgeschöpft wurden. Unentschuldbar. Aber begeistert war ich, als sie in den Kosovo gegangen sind, um einen Genozid zu verhindern.“
    „ Ach, das war doch alles Propaganda.“
    „ Ja, und die Massengräber waren in Wirklichkeit ganz normale Friedhöfe. Sicher wurden manche Dinge übertrieben dargestellt, aber seit wann stört euch Linke das? Als damals Greenpeace gelogen hat und die Menge an Müll auf der Brent Spar total übertrieben hat, war das für euch ein legitimes Mittel der psychologischen Kriegsführung. Also, Greenpeace darf das, aber die NATO nicht?“
    „ Ich sehe einen gewissen Unterschied zwischen der NATO und Greenpeace, in der Tat. Es geht doch darum, was man für Ziele verfolgt im Leben. Es geht um Überzeugungen. Solange die Überzeugung richtig ist, darf man alles. Dann darf man lügen.“
    „ Und morden auch?“
    Die Frage kam plötzlich von Lisa. Fabian und Sven, die voll in ihrem Dialog aufgegangen waren, sahen sie überrascht an. Sven grübelte kurz.
    „ Nein“, sagte er dann. „Mord ist nie legitim. Höchstens, na ja, in Notwehr.“
    Fabian wollte schon etwas erwidern, aber Sven winkte ab. „Jaja, schon gut. Jetzt erzählst du gleich, es war Notwehr im Kosovo, und dann kommst du noch mit dem Krieg gegen Hitler.“
    „ Ja, ganz recht, damit wollte ich kommen. Dein Kommentar?“
    „ Gar kein Kommentar. Mir reicht’s.“
    Sven stand auf und wandte sich an Rosie. „Ich geh nach Hause. War eine witzige Idee, das hier. Machen wir bald wieder.“
    Und weg war er. Rosie grinste verlegen. „Schade. Ich habe gehofft, er würde zahlen.“
    „ Was für ein Arschloch“, grummelte Fabian und trank seinen Cappuccino.
    „ Er hat zumindest Ideale“, entgegnete Lisa. „So etwas bewundere ich. Es kann nicht jeder so ein Typ sein wie du, dem alles egal ist und der an nichts glaubt.“
    „ Ich glaube an vieles. Ich glaube an Vernunft, Intelligenz, Verantwortungsbewusstsein, und vor allem an Ehrlichkeit. Wenn es dir gefällt, dabei zuzusehen, wie der Spinner sich selbst belügt, dann viel Spaß. Allein schon dieser Widerspruch mit der Gewalt. Bloß keine Gewalt, bloß kein Krieg! Es sei denn, es ist Notwehr! Aber wann es Notwehr ist, bestimmen wir und nicht die Opfer! Und dann lachen sie sich heimlich ins Fäustchen, wenn wieder ein Terroranschlag gelingt, bei dem amerikanische Soldaten sterben.“
    Lisa dachte nach. Als Sven davon angefangen hatte, war ihr ein Gedanke durch den Kopf geschossen. Und dann gleich wieder auf der anderen Seite raus. Vielleicht fand sie ihn wieder? Hey, super, da war er ja!
    „ Fabian, was ist, wenn das im Grunde das Motiv ist? Ich meine, für unseren Mörder?“
    „ Was?“ Fabian war verblüfft. „Notwehr?“
    „ Nein, nicht Notwehr. Mehr so etwas wie Rache. Oder Bestrafung. Im Namen von anderen Leuten, die sich nicht wehren konnten.“
    Fabian sah sie an, als käme sie aus dem Weltall. „Du meinst, da läuft ein einsamer Rächer durch Berlin, der jeden Menschen, der mal jemand anders schlecht behandelt hat, um einen Kopf kürzer macht?“
    „ Ja, ich weiß, klingt ziemlich weit hergeholt.“
    Fabian griff nach seinem Karamellkeks, öffnete ihn und knabberte daran herum. Als er fertig war, sah er Lisa in die