Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
zutiefst Passendes erwidern, aber Fabian beruhigte sie mit einem entsprechenden Blick. Ullrich fuhr fort.
„ Unsere Stoßrichtung ist klar. Wir sind auf der Suche nach einem psychopathischen Serienkiller. Nach Auffassung unserer Profiler handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um einen Mann zwischen vierzig und sechzig von durchschnittlicher Bildung. Die Art und Weise, mit der er seine Verbrechen begeht, lässt auf einen rituellen Akt schließen. Enthauptungen sind aus mehreren Kulturen überliefert, unter anderem aus dem asiatischen und dem arabischen Raum. Deshalb gehen wir zur Zeit von einem ausländischen Täter aus, vielleicht auch von einem Deutschen, der einem religiösen Wahn erlegen ist. Die Auswahl der Opfer erfolgt willkürlich und ohne persönliches Motiv. Natürlich gibt es...“
„ Verzeihung“, sagte Lisa ruhig.
„ Ja?“
„ Kein Motiv? Wie kommen Sie darauf?“
Die BKA-Leute grinsten sich gegenseitig an.
„ Weil Serienkiller nie ein Motiv haben, Frau Becker“, erklärte Ullrich in einem Tonfall, mit dem die Mami ihrem Sprössling erklärt, wie ein Regenbogen entsteht. „Es sind Menschen, die aus einem Impuls heraus töten, der sich rationalen Erwägungen verschließt. Eine Ausnahme bilden höchstens Triebtäter, die ihre Opfer töten, um unentdeckt zu bleiben. Das ist hier aber nicht der Fall. Oder können Sie ein Motiv erkennen, bei drei Opfern, die offensichtlich nichts miteinander zu tun hatten?“
„ Frau Becker hat da eine Theorie, die ich sehr interessant finde“, kam Fabian Lisa zu Hilfe.
„ Meinen Sie Richard Weinstein? Sicher, der ist interessant, aber...“
„ Nein, den meine ich nicht. Ich habe keinen Verdächtigen, aber ein mögliches Motiv“, sagte Lisa.
Ullrich setzte sich auf die Schreibtischkante und verschränkte die Arme. „Ich bin gespannt.“
Lisa holte tief Luft und sah Ullrich fest in die Augen, während sie sprach. „Auch wenn sich die drei Opfer entweder gar nicht oder nur oberflächlich kannten, bin ich sicher, der Täter kannte sie. Vielleicht nicht persönlich, aber das muss auch nicht sein. Was er über sie wusste, genügte ihm. Er wusste, dass Fritz Krumm ein asozialer, wertloser Haufen Dreck war, der Vergewaltigungsopfer aus seiner Bahn rausschmeißt. Er wusste, dass Charlie Sander jemand war, der aus Spaß und Ergeiz Existenzen und Leben ruinierte. Und von Walter Fechner war bekannt, dass er es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Hass zu schüren, der am Ende in Gewalt ausartet. Schon mehrfach wurden Brandanschläge auf Moscheen und Synagogen in der Region verübt, kurz nachdem er irgendwo gegen diese gewettert hatte. Die Zahl der Überfälle und Angriffe auf Ausländer in der Gegend ist stark gestiegen, seit er auf der Bildfläche erschienen ist. Es gab bei diesen Aktionen auch Todesopfer. Ich glaube, der Mörder war einfach der Meinung, dass diese drei Menschen es verdienten, zu sterben. Und da es keine gesetzliche Handhabe gegen sie gab, fühlte er sich eben berufen.“
Für mehrere Sekunden herrschte Schweigen im Raum. Lisa lehnte sich ebenso entspannt zurück wie Fabian. Ullrich hatte aufmerksam zugehört, und auch seine Kollegen waren still. Dann verzog ihr Chef geringschätzig den Mund, woraufhin die anderen drei wieder breit grinsten.
„ Frau Becker“, sagte Ullrich seufzend, „das war ja wirklich ein bemerkenswerter Vortrag. Ich bin fasziniert, und ich hoffe, Sie nehmen mir das jetzt nicht übel, aber das ist mit Abstand das idiotischste, was ich jemals gehört habe. Man muss schon mit einer etwas kruden Phantasie gesegnet sein, um sich so etwas auszudenken. Herrgott, so könnte man ja jedem Serienkiller irgendein Motiv andichten!“
„ Ich weiß“, sagte Lisa, „aber nur weil es so etwas noch nie gegeben hat, heißt das nicht, dass es nicht vorkommen kann. Wenn wir mal beim ethisch oder politisch motivierten Mörder bleiben, gehen wir immer davon aus, dass der Täter immer nur ein Opfer hat, und dann wird er entweder geschnappt oder bringt sich um. Was aber wäre, wenn ein Attentäter sich nicht nur mit einem Mord zufrieden gibt, sondern ernsthaft versucht, so viele Menschen wie möglich zu killen, die das seiner Ansicht nach verdient haben?“
„ So wie ein islamischer Terrorist, oder ein norwegisches Riesenarschloch?“ fragte einer der Kommissare.
„ In etwa.“
„ Geben Sie’s zu“, sagte Fabian zu Ullrich, „wenn nur Herr Fechner geköpft worden wäre, würden Sie doch sofort den Täter im politischen
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