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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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er erinnert sich noch gut an den witzigen und unverkennbaren Effekt, den die Momente haben, in denen Halloran, Utah und Floyd Nicks sprunghaften Rhythmuswechseln nicht folgen können und in einer Art musikalisch vorgebildeten Kehrschleife auf die neue Landebahn einzufliegen versuchen. Er beschließt, diese Irritationen noch zu forcieren, weist Nick an, noch gnadenloser mit den anderen umzuspringen, und amüsiert sich königlich über besonders Hallorans resultierenden Kampf mit der Willkür. ›Ten Candles‹ ist eine gewaltige, sich windende Schlange, die mit bloßen Händen nicht zu greifen ist, und klingt, als würde die Wirbelsäule der Musikgeschichte mit einem Bahngleishammer in ihre Segmente zertrümmert.
    Nachdenkend über die Rolle von Nicks Rhythmen in der Band, beschließt The Pope , die Rhythmusspur von ›Grey‹ zu löschen. Das Lied – seiner Substanz entzogen – klingt jetzt plötzlich genauso schlaff und kraftlos, wie Floyds Text das impliziert. Die Band ist begeistert, selbst Nick, der noch nie zuvor sein Schweigen als so bedrückend empfand.
    Utah nimmt ein Akkordeon-Intro für ›Implication Storm‹ auf und quetscht die Kommode auch noch auf einer Zusatzspur für ›Man Is Where the Money Is‹.
    Floyd hat ›Crazy Bitch Lancaster‹ umgeschrieben. Es heißt jetzt ›Crazy Telecaster‹, und der Gag dabei ist, dass keine einzige Telecaster im Song zu hören ist. Utah spielt zusätzlich zu Floyds Les noch Rickenbacker und ESP, und ›Crazy Telecaster‹ wird der bislang weiteste Vorstoß von MBMI in die Gefilde des hüftstoßenden und samenschleudernden Macho-Funkrock. Der ›Crazy Telecaster‹-Impro-Jam, der daraufhin entsteht, wird in einundzwanzig Minuten Länge von Stork mitgeschnitten, um später in seinem Bekanntenkreis verhökert zu werden. Ein erfahrener Aufnehmer weiß, wenn er echtes Gold in Händen hält.
    Die Stimmung am Abend ist großartig. Alle fühlen sich wohl in Overripe und möchten am liebsten gar nicht mehr weg. Floyd lässt sich sogar dazu hinreißen, auf einer verwaist vorgefundenen 12-saitigen Lakewood eine akustische Version von ›Legless Bird‹ zum Besten zu geben, die von Nick an Congas, Utah mit der Mundharmonika und Hallorans Handclaps und Footstomps untermalt wird. Die Vorstellung, wie sie nun alle auf Barhockern sitzend auf einer schmierigen Unplugged-Veranstaltung vor lauter langhaarigen Karohemd-Trotteln die politisch korrekte Glaubwürdigkeit raushängen lassen müssten, sorgt für ausgelassene Heiterkeit.
     
     
    2. Oktober.
    Karen und Merle sind anwesend, als ›Word Is Soul‹ über die Bühne geht, das sanfteste, verträumteste Stück des Albums, getragen von einem lasziven Duell zwischen Utahs gestreicheltem Piano und Floyds liebkoster Les sowie den fast unhörbar gewisperten Stimmen der beiden. Karen ist sauer, sie macht Floyd eine Szene, die nur deshalb nicht in platte Peinlichkeit mündet, weil keiner, am wenigsten Floyd, sich sonderlich dafür interessiert.
    Halloran kriegt Ärger mit Stork, als Stork Hall dabei erwischt, wie er Merle ausgiebig auf den filigranen Reglerboards im Aufnahmeraum bumst. Es kommt fast zur Schlägerei, denn hier versteht Stork überhaupt keinen Spaß. Als Nick beim Vermitteln eins von Hall auf die Nase kriegt, droht der sonst so beherrschte Drummer, den »ganzen Amateurscheiß hier« hinzuschmeißen. Währenddessen hackt Floyds Angetraute verbal auf die »Schlammfotze« Utah ein. Als diese aber auch nicht sonderlich darauf achtet, sondern weiterhin auf dem Klavier herumimprovisiert, rauscht Karen Timmen endlich ab. The Pope tun vor lauter Lachen die Schläfen weh. Er muss ein paar Minuten Auszeit nehmen.
    Abends trommelt er ein paar im und vor dem Studio herumhängende Leute zusammen und macht aus ihnen einen Chor, der den Refrain von ›Zeroes‹ durch wildes, aber rhythmisches »Six-six-six«-Geschreie akzentuieren soll. Das Resultat ist in erster Linie ein weiterer Mordsspaß, in zweiter Linie aber auch wirklich brauchbar.
    The Pope greift sich Nick und macht ihm klar, dass morgen der letzte Aufnahmetag sein muss, wenn The Pope seine Wette mit Stork gewinnen will. Nick wird wütend und droht, »den ganzen Amateurscheiß hier« hinzuschmeißen. Utah jedoch grinst und ist einverstanden. Außerdem spricht sie mit The Pope noch mal die Käfig-Idee des Albumtitels durch. Ihr ist der Gedanke gekommen, statt eines normalen Käfigs einen ribcage , einen Brustkorb also, als Titelsymbol zu benutzen. Ein Skelettbrustkasten mit

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