HalbEngel
haben, er hat mir ja auch schon vorher davon erzählt gehabt, aber The Pope war eben derjenige, der wusste, wie man diese Träume auch wirklich akustisch wahr machen kann. Ohne dieses Know-how hätte das Ganze nichts werden können.«
Laurie kam mit der Nuckelflasche aus der Küche zurück, amüsierte sich rücksichtslos über Karens verkrampfte und völlig falsche Haltung, nahm Sam junior wieder an sich und gab ihm das Fläschchen. Sam schmatzte und rieb die Handflächen gegeneinander wie ein altgedienter Feinschmecker, der im Restaurant schon viel zu lange warten musste und endlich sein Menü bekommt.
»Du gibst ihm nicht die Brust?«
»Bah, neee. Meine Titten sind wahrscheinlich nach vierundzwanzig Jahren Leben in Harrisburg gefährlichere Giftbehälter als irgendwelche Brennstabkästen im Endlager. Das kann ich so einem kleinen Kerl nicht zumuten. Man weiß zwar auch nie, was in dem Glasfraß so drin ist, aber es ist wenigstens abgekocht.«
Karen nickte traurig. »Es ist eine beschissene Welt geworden.«
»Das kannst du laut sagen. Es gibt wohl niemanden, der das deutlicher mitkriegt als eine frischgebackene Mutter. Worauf man heutzutage alles zu achten hat, ist wirklich kaum zum Aushalten. Und bis gerade eben dachte ich in meiner unglaublichen Dummheit, dass wenigstens Musik dazu da ist, Freude ins Leben zu zaubern. Aber es scheint ja auch nur ein Hurengeschäft zu sein.«
»Tja. Sie sind echt alles Nutten, die ganze Band. Nutten für Erfolg. Bei Utah sagt man Nutte, weil sie sich was in die Pussy stecken lässt, aber das, was Floyd getan hat, ist eigentlich noch viel schlimmer. Er hat sich die Seele ficken lassen.«
»Und wie ging’s zu Ende? Gab’s wenigstens einen anständigen Krach, oder hat sich’s nur totgelaufen?«
»Hat sich nur totgelaufen. Hat sich dabei aber noch unnötig in die Länge gezogen. Da du nicht verheiratet bist, kannst du dir gar nicht richtig vorstellen, wie lange einem ein halbes Jahr vorkommen kann. So, als würde es die übrigen achtzehn Jahre des Lebens an Gewicht völlig aufwiegen. Zwei Wochen sind sie im Studio gewesen, Tag und Nacht, da hab ich von Floyd schon gar nichts mehr zu sehen gekriegt. Danach noch die Post-Production, Floyd und The Pope unter einer Decke, echt. Dann im Oktober ein paar Promo-Gigs in der Nähe von Cleveland, Termine für die Presse, Fotosessions und der ganze Mist. Wenigstens haben sie es abgelehnt, sich noch irgendeine besondere Art von Bühnenkluft auf die Leiber schneidern zu lassen von irgendeinem In-Couturier. Na ja. Dann haben sie in der ersten Novemberwoche das › Goodbye ‹ -Video gedreht, in einem verfallenen Gaswerk in Elyria. Wieder Post-Production, das Unterlegen von ein paar Tierbildern aus alten Lehrbüchern und so, du kennst ja das Video.«
»Klar. Heavy Rotation.«
»Dann das sogenannte Launching des Videos, also Klinkenputzen und Präsentieren, alles unter Donellis Fittichen. Anfang November kamen dann Single und Video gleichzeitig raus und drängelten sich in den Charts erschreckend weit nach oben. Den ganzen Monat wurde da nur noch verhandelt und geplant und gediest und gedast, aber keine Musik mehr, keine Gigs. Keine Drogen, klare Anweisung von Donelli. Und siehst du die kleine Karen hier irgendwo? Spielt sie noch irgendeine Rolle in dem ganzen Zirkus? Kriegt sie ihren Ehemann noch irgendwann mal zu Gesicht, geschweige denn fällt es ihrem Ehemann überhaupt auf, dass er sie nicht mehr zu Gesicht kriegt? Nein. Fehlanzeige. Keine Karen mehr. Wenn ich nicht so träge wäre, hätte ich auch schon zwei Monate vorher abhauen können, genauso wie ich von zu Hause hätte abhauen sollen, als ich fünfzehn oder sechzehn war. Ich bin einfach weg, am 28.November, an das Datum kann ich mich noch genau erinnern, und ich gehe jede Wette ein, dass Floyd bis jetzt noch überhaupt nicht gemerkt hat, dass ich nicht mehr da bin.«
»Meine arme Kleine.« Mit links das Baby haltend, stellte Laurie die fast leere Flasche ab und zog ihre Schwester zärtlich an sich, an ihren rechten Busen. Sie hatte jetzt zwei Kinderchen zu umsorgen, das eine schaute satt und behaglich drein, das andere schluchzte leise mit bebenden Schultern. »Meine arme kleine Karry. Du hast genau das Richtige getan. Du bist dort abgehauen, als es echt nicht mehr auszuhalten war. Und es war auch richtig von dir, zu mir zu kommen. Mit den beiden Sams hier im Haus wird es zwar jetzt ein wenig eng werden, aber der eine ist ja sowieso fast nie da, und mit dem anderen kannst du
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