Halbgeist: Roman
verbrachte und weitere Befragungen der Dienstverpflichteten von Hängemattenstadt durchführte.
Ich musste nicht viel wissen, ich brauchte nur eine Bestätigung dessen, was ich so oder so schon vermutete. Meine neuen Erkenntnisse bekräftigten tatsächlich zum größten Teil die Informationen, die ich bereits zuvor erhalten hatte, wobei mich wie stets verblüffte, wie nachdrücklich sich die Wahrheit doch zeigte, war sie einmal ans Licht gekommen. Ein paar jüngere Dienstverpflichtete lachten sogar darüber, dass ich nicht früher darauf gekommen war. Sie hatten fest geglaubt, ich wüsste es längst.
Die erneute Befragung von Li-Tsan dauerte nicht länger als erwartet; die Frau war nach wie vor paranoid, beleidigend und ihrer Opferrolle verfallen. Sie beantwortete meine Fragen nicht, aber als ich ihr erzählte, was ich wusste, erwiesen sich ihre Reaktionen als durchaus interessant. Das Gleiche galt für Nils D'Onofrio, mit dem ich ebenfalls noch einmal sprach. Er war genauso verbittert und beinahe genauso abwehrend.
Robin Fish wirkte verloren, distanziert und so voller Trauer, dass ich hätte dahinschmelzen können, hätte ich eine stärkere Neigung zu mitleidsvollen Reaktionen besessen. Sie weinte sogar. Aber damit hatte ich gerechnet. Sie hatte sich schließlich längst als weinerlich und nachlässig dargestellt. Und sie war erleichtert, dass die Wahrheit nun endlich ans Licht kam. Sie gab mir weitere Namen, von denen einige die Wahrheit auf Anhieb preisgaben, während ich andere erst bedrohen musste. Wieder andere befragte ich gar nicht erst, weil das Bild bereits klar erkennbar war und ihre jeweiligen Akten mir vollkommen reichten, um die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Am Ende ergab sich ein verteufeltes Dominospiel.
Nun musste ich nur noch einen Stein auf den nächsten fallen lassen.
Zuvor aber fertigte ich einen weiteren verschlüsselten Bericht für Bringen an. Der hätte sehr lang ausfallen können; ein Teil meiner selbst wollte mit einer umfangreichen Abhandlung darüber beginnen, warum ich bestimmte Dinge wissen wollte oder wie ich zu dem Schluss kam, dass ich falschgelegen haben könnte. Aber alles, was ich neben der eigentlichen Frage formulierte, verzerrte die dahinterstehende Absicht. Schließlich beschränkte ich mich auf das, was ich wissen musste, und schrieb die kürzeste Botschaft, die er je von mir erhalten hatte. Es war eine Frage, die sich in die einfachen Worte ›Sind Sie mein Feind oder nicht?‹ hätte kleiden können. Meine Formulierung war eine andere, die Bedeutung nicht.
Ich wusste nicht, ob ich wirklich den Mumm hatte, sie abzuschicken.
Als ich aus dem Schiff in das hellere, aber keineswegs frohe Licht des Hangars trat, stellte ich fest, dass sich die Stimmung unter Gibbs Leuten seit den Ereignissen der vorangegangenen Nacht weiter verschlechtert hatte. Die gleichen Leute, die im Zuge der Evakuierung trotzige Entschlossenheit an den Tag gelegt hatten, hatten nun einen ganzen Tag voller Müßigkeit verbracht, der ihnen genug Zeit gelassen hatte, Spannungen aufzubauen. Viele von ihnen hockten vor den Schlafkuben, in Gespräche versunken, deren Tenor mal trübsinnig, mal schlicht unverfroren war.
Einige sahen sich zu mir um und murmelten ihren Freunden etwas zu: zweifellos der vierzigste oder fünfzigste Kommentar über mein wahnsinniges, selbstmörderisches Verhalten auf dem Gleiter. Gelächter erregte meine Aufmerksamkeit. Es erklang aus den Mündern einiger Dienstverpflichteter, die sich dem Genuss von Rauschpflastern hingegeben hatten. Ich sah einen heftig benebelten Cif Negelein, der aussah, als hätte er sich an jedem Fetzen organischer Materie zwischen hier und New London gerieben, und die Frau mit dem purpurroten Haar mit einem nassen Kuss beehrte. Aber die meisten hatten sich verkrochen. Wann immer ich an einem offenen Schlafkubus vorbeikam, sah ich Dienstverpflichtete, manche schlafend, andere auf der Koje sitzend, den Kopf in den Händen geborgen, Mitarbeiter, die aussahen, als rechneten sie jeden Moment damit, der Boden unter ihren Füßen könnte sich auftun und sie mit Haut und Haar verschlingen.
Peyrin Lastogne hockte zusammen mit zwei Männern und einer Frau neben einer Kiste, die ihnen als Tisch diente, und spielte ein Spiel, zu dem kleine silberne Kugeln, goldene Pyramiden und ein winziger holografischer Reif gehörten, der sich um die Mitte des Tisches drehte und stets rot aufleuchtete, wenn er einem bestimmten Spieler zugewandt war. Ich kannte die
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