Halbgeist: Roman
Spielregeln nicht, aber die Körpersprache der Leute verriet eindeutig, dass Lastogne haushoch in Führung lag.
Seine Stimmung besserte sich ein wenig, als er mich sah. »Counselor«, sagte er. »Sie hatten einen recht abenteuerlichen Tag, nicht wahr?«
Aus seinem Mund klang das Wort abenteuerlich wie eine Verwünschung.
»Er war interessant. Und Ihrer?«
»Der war alles andere als interessant. Meine Pflichten scheinen derzeit darauf beschränkt zu sein, den Leuten Mut zu machen. Ich habe mich damit vergnügt, mir den steten Strom der Leute anzuschauen, die auf das Schiff gingen und wieder zurückkamen und offensichtlich rätselten, welche Schlüsse Sie gezogen haben mögen.«
Die drei Dienstverpflichteten am Tisch warteten ebenso begierig wie er auf meine Antwort.
»Möchten Sie darüber sprechen?«, fragte ich.
»Unter vier Augen?«
»Selbstverständlich.«
»In Ordnung.« Er erhob sich, deaktivierte das Spiel, entschuldigte sich bei den anderen und eskortierte mich zu einem Schlafkubus ganz in der Nähe. Der Kubus wurde derzeit von dem praktisch narkoleptischen Cartsac belegt, doch als er sah, wer den Platz zu beanspruchen beabsichtigte, stemmte er sich mühsam hoch und schlurfte mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der nichts anderes wollte als einen Ort, an dem er sich zur Ruhe betten konnte, zur Tür hinaus. Lastogne versiegelte die Klappe, setzte sich auf eine der beiden Kojen, bedeutete mir, auf der anderen Platz zu nehmen, und sagte: »Ich weiß, was Sie denken. Sie fragen sich, ob all dieser Rauschmittelgenuss klug ist.«
Ich blieb stehen. »Das wollte ich gerade anmerken.«
Er zuckte mit den Schultern. »Vertrauen Sie mir, die haben sich schon von weit Schlimmerem erholt. Wenn wir sie brauchen, werden sie hellwach sein.«
Ich nickte nur. »Ganz ähnlich wie die übliche Freizeitgestaltung, nicht wahr?«
Die nun folgende Stille hielt noch vor, als ich den Zischschirm aktivierte.
Äußerlich stellte sich Lastogne als uneingeschränkt ruhig, gemäßigt und professionell dar, fest entschlossen, keinerlei Reaktion zu zeigen, sei sie gut oder schlecht. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es zwischen uns wenigstens keine Geheimnisse. »Das geht ein wenig an den Zielvorgaben für Ihre Untersuchung vorbei, meinen Sie nicht, Counselor? Ich hätte Sie nicht für die Art von Mensch gehalten, die sich auf so eine alberne Hexenjagd einlässt.«
»Daran ist nichts albern«, entgegnete ich. »Aber Sie haben recht, die Angelegenheit verdient meine Aufmerksamkeit nicht.«
»Warum weichen Sie dann so weit vom Pfad ab, um einen Mann zu ruinieren?«
»Warum riskieren Sie Ihre Karriere, um ihn zu beschützen?« Als er nicht antwortete, senkte ich die Stimme und fuhr in scheinbar konspirativem Ton fort: »Ich weiß, dass es nichts mit Respekt zu tun hat. Sie haben ausreichend klare Andeutungen bezüglich Ihrer Ansichten über ihn gemacht. Also, worum geht es? Was hat er gegen Sie in der Hand?«
Er überraschte mich mit Gelächter: lautes herzhaftes Lachen, angefüllt mit Zuneigung gegenüber Gibb und mir. »Ist es das, was Sie denken, Counselor? Dass er die Fäden in der Hand hat? Tut mir leid, aber Sie liegen weit daneben. Ich könnte diese Station schon morgen verlassen und hätte seinen Namen spätestens Mitte nächster Woche vergessen.«
»Warum schützen Sie ihn dann?«
»Weil er mittelmäßig ist. Und ich hatte immer schon eine gewisse Schwäche für das Mittelmaß.«
Li-Tsan hatte erst gestern Ähnliches zu verstehen gegeben. »Kommen Sie ...«
»Nein, nein, nein, ich meine es ernst. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie unerträglich das Leben wäre, wenn jedermann herausragend wäre? Wenn jeder edel, scharfsinnig, couragiert und selbstlos wäre? Wenn jeder mit offenen Augen durch das Leben ginge und die Kräfte wahrnähme, die die Welt tatsächlich am Laufen halten? Das wäre ein Irrenhaus. Man braucht einfach ein paar leere Kalorien wie Gibb, um die ganze Mixtur ein bisschen zu strecken.«
Er schien es tatsächlich ernst zu meinen. »Meiner Erfahrung nach neigt Mittelmäßigkeit in Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, dazu, Menschen umzubringen.«
Er setzte eine wissende Miene auf. »Sehen Sie sich die Geschichtsbücher an. Größe tötet mehr.«
Es gab nichts, was ich dazu hätte sagen können.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich kümmere mich um Gibb so wie um ein Haustier. Solange die Arbeit getan wird, zumindest in dem Rahmen, in dem die Umstände es ihm gestatten, und niemand zu
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