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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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Binsenweisheit, derzufolge wir unter der Oberfläche alle gleich waren, eben doch wahr war.
    Es gab keinen Grund, warum dieser Versuch irgendjemandem hätte Schaden zufügen sollen. Obgleich Hom.Saps und Bocaier die Endprodukte zweier voneinander unabhängiger evolutionärer Prozesse waren, gab es zwischen den Spezies schließlich immer noch mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede: Beide Spezies waren omnivor, Säuger, viergliedrig, Zweibeiner, beide hatten zwei Geschlechter, beide verfügten über binokulares Sehen, beide erfreuten sich an Kunst und Fiktion, beide neigten zu stammesförmigen Familienstrukturen, und beide konnten die gleichen Nahrungsmittel verarbeiten, auch wenn es feine Unterschiede im Hinblick auf die ideale Ernährung gab. Es war sogar recht leicht, die Spezies zu verwechseln, zumindest bei Dunkelheit.
    Die Unterschiede, beispielsweise die stärkere Behaarung der Menschen oder das Hervortreten der Augen der Bocaier, waren so unbedeutend, dass in manchen überlieferten Tagebüchern Geständnisse zu finden waren, denen zufolge Menschen sich von erwachsenen Bocaiern sexuell angezogen gefühlt hatten. Die Durchführung des Verkehrs war allerdings ausreichend unmöglich, sodass schon der bloße Gedanke daran grotesk war, zumal die evolutionäre Parallele kurz vor der Ausbildung kompatibler Genitalien ihr Ende gefunden hatte. Aber die Anziehung blieb und legte Zeugnis darüber ab, dass nach allen äußerlichen Kriterien Menschen und Bocaier imstande waren, in dem jeweils anderen nur eine leicht exotische Variante ihrer selbst zu erkennen. Diese Illusion war der eigentliche Grund dafür, dass Hom.Saps und Bocaier in einer Gemeinde zusammenleben konnten, dass sie die Familien der anderen Spezies besuchten, einander als Cousins und Cousinen bezeichneten und sich gegenseitig bei der Beaufsichtigung ihrer Kinder zur Seite standen.
    Was auch der Grund dafür ist, warum ich zwei Garnituren Geschwister hatte, eine menschlich, eine nicht. Warum ich zwei Namen hatte, einer menschlich, einer nicht. Warum ich in zwei Welten gelebt hatte, eine menschlich, die andere nicht.
    Ich hatte für meinen Vaafir geschwärmt, das Bocaier Äquivalent eines Vaters. Ich hatte im Haus meiner Bocaier Familie ebenso oft geschlafen wie in dem meiner biologischen Eltern.
    Ich musste erst drei Jahre alt werden, um zu begreifen, warum es zwei vollkommen unterschiedliche Arten von Leuten gab, und vier, bis ich ganz sicher war, zu welcher Art ich selbst gehörte.
    Ich war acht in jener Nacht, in der alle zu Monstren wurden und einander abschlachteten.
    Nie war es mir gelungen, dem Gemetzel jener Nacht einen Sinn abzuringen. Bis zu diesem Tag auf Catarkhus, als ich vor dem Mörder Emil Sandburg stand, der sechs bewusste Lebensformen gefoltert und ermordet hatte, ohne dass es einen anderen Grund gegeben hätte als die bloße Frustration über ihre Unfähigkeit, ihn zu hören oder zu sehen.
    Die Zelle wurde überwacht, aber ich hatte einen Zischschirm aktiviert, um die Lauscheinrichtungen der Zelle mit anderen Geräuschen zu überfluten.
    Wie, so fragte ich, kommen wir darauf, dass wir besser dran wären?
    Er starrte an mir vorbei, starrte durch mich hindurch, sah nicht mehr die Form seiner Zelle, sondern nur noch den Gedanken, der allmählich in seinem Kopf Gestalt annahm. Seine Lippen zuckten wie die eines Mannes, dem ein exotischer Genuss vorgesetzt wurde und der herauszufinden versuchte, ob er ihm nun schmeckte oder nicht.
    Vielleicht, sagte ich, ist das eine Idee, für die man verrückt sein muss. Vielleicht ist das eine Idee, die man sich nur vorstellen kann, wenn man verzweifelt eine Art der Absolution sucht. Aber das heißt nicht, dass es eine dumme Idee ist, nur eine alte, eine, von der wir dachten, wir könnten gefahrlos über sie hinauswachsen. Vielleicht gibt es die Unsichtbaren Dämonen tatsächlich, von denen wir geglaubt haben, sie würden uns beeinflussen und unsere bösen Triebe aktivieren, und wir irren uns nur hinsichtlich dessen, wer sie sind und woher sie gekommen sind. Vielleicht kommen sie von überall um uns herum, und wir sind nur nicht gerüstet, sie zu erkennen. Vielleicht frustriert sie das so sehr, dass sie es uns heimzahlen, indem sie die passenden Strippen ziehen. Ich holte tief Luft, so tief, dass meine restlichen Worte sich als halb hysterischer Schauer über ihn ergossen: Vielleicht war auf Bocai einer bei mir. Vielleicht war einer bei Ihnen. Hier.
    Von diesem Moment an, fuhr ich fort, geht es in meinem Leben

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