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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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Falle eines Falles die Bestätigung dafür liefern, dass ich weder Gibb noch Lastogne trauen durfte.
    Ich hätte noch mehr tun können, doch da erfasste mich eine neue Woge der Erschöpfung.
    Das verzögerte Eintreten des körperlichen Zusammenbruchs, der dem Interschlaf stets binnen weniger Tage folgt, ist nicht gerade das, was irgendjemand mit Spaß in Verbindung bringen würde. Ich war bereits dafür bekannt, dass ich überaus energiegeladen an einem Einsatzort auftauchen konnte, nur um später mitten im Gespräch einzuschlafen. Die Präparate, die ich stets nach dem Erwachen einnahm und von denen einige innerhalb des Corps nicht zugelassen waren, ersparten mir die schlimmsten Auswirkungen; trotzdem musste ich früher oder später den üblichen Zusammenbruch durchstehen. Und in Anbetracht meiner derzeitigen Umgebung war dieser Zusammenbruch inzwischen mehr als überfällig.
    Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht einfach schwer von Begriff, ich war schlicht und einfach dumm.
    Was ein Hauptgrund dafür war, dass ich nicht aufschreckte, als ich feststellte, dass mir das grau-grüne Material, aus dem meine Hängematte bestand, immer wieder vor den Augen verschwamm.
    Es wirkte ein bisschen so wie die grauen Flecken, die ich bisweilen bei hellem Licht zu sehen glaubte. Sie sind kaum wahrzunehmen, sehen aber irgendwie aus wie durchscheinende graue Punkte, die sich an einen weit entfernten Ort zurückziehen. Während einiger Jahre meiner Adoleszenz glaubte ich, dies seien Symptome ebenjenes Wahns, der mich auf Bocai überkommen hatte. Dann erwähnte ich sie einem meiner Ärzte gegenüber. Der lachte und versicherte mir, das seien lediglich ganz gewöhnliche Anzeichen für ermüdete Augen, die alle menschlichen Wesen befielen, nicht nur die, die sich eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht hatten. Sie machten mich wahnsinnig, weil es völlig nutzlos war, sie zu verfolgen. Je mehr man sich auf sie konzentrierte, desto unschärfer wurden sie, desto mehr strapazierten sie die Wahrnehmungsfähigkeit der Augen.
    Das Material der Hängematte, erhellt von dem leuchtenden Rand des Grats, war voll von Punkten dieser Art, sichtbar in der einen, unsichtbar in der anderen Sekunde. Ich konzentrierte mich auf sie, fühlte, dass ich die Orientierung verlor, sah nichts mehr als das, was vor mir lag, und meine Gedanken wurden dumpfer, wurden mehr und mehr von einem Schleier überlagert.
    Ich wusste, der Schlaf würde mich bald überwältigen. Ich konnte fühlen, wie meine Lider immer schwerer wurden, meine Glieder immer tauber. Ich spürte, wie sich mein Mund öffnete und der Unterkiefer in Richtung Brust sackte. Dann, ruckartig, wurde ich wieder wach, erfüllt von dem Schrecken, der bisweilen den Dämmerschlaf eines Menschen unterbricht, doch ich erholte mich schnell, verzog die Lippen zu einem halben Lächeln und entspannte mich sogleich.
    Ich glaube, ich empfand etwas wie Frieden.
    So eine Hängematte ist immerhin ein beinahe perfektes Bett. Sie gestattet es dem Körper, sich die für ihn bequemste Position zu schaffen. Die Nachgiebigkeit des Materials fühlte sich tröstend an, beinahe wie im Mutterleib. Für Personen mit Höhenangst mag es schwer sein, sich auf solch einem Ding zu entspannen, wenn es kilometerweit über der nächsten festen Oberfläche hängt, aber wenn man erst einmal erschöpft genug ist, übernehmen allmählich die primitiveren Bedürfnisse die Oberhand. Die Vergessenheit rief mich in einer Weise, wie sie es im Blaugel nie und nur selten im Fall echter Schläfrigkeit getan hatte.
    Ich fühlte einen Lufthauch auf meiner Haut und regte mich mit einem Gefühl plötzlicher Besorgnis. Doch es geschah gar nichts so Fürchterliches, also schlief ich wieder ein.
    Die Träume, die über mich kamen, waren nicht so schlimm.
    Ich war ein kleines Mädchen, vielleicht drei oder vier Jahre alt, und spielte mit Mommy und Daddy. Ausnahmsweise erinnerte ich mich nicht ausschließlich im Umfeld der Tragödie auf Bocai an sie. Ich erinnerte mich, wie sie an einem Tisch gesessen und über einen Witz gelacht hatten, den zu verstehen ich zu klein gewesen war. Mein Vater sah glücklich aus, meine Mutter herrlich vergnügt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren erinnerte ich mich daran, dass sie etwas größer gewesen war als mein Vater, seinerseits kein kleiner Mann; wenn sie einander angeschaut hatten, hatten ihre Augen einige Zentimeter herabblicken müssen. Ihre Arme waren gebräunt gewesen, die Haut ein wenig ledrig von der lebenslangen

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