Halbmast
er? Warum sperrte er den Schiffsarzt ein?
«Hören Sie, ich habe mitbekommen, dass Wolfgang Grees tot ist. Und ich könnte mir vorstellen, dass ich mit der Sache ungerechterweise in Verbindung gebracht werden würde, sobald ich in Erscheinung trete.»
«Aus welchem Grund?»
«Weil ich ein Motiv gehabt hätte, Grees zu beseitigen.»
«Aber Sie haben es nicht getan?»
«Nein. Doch Schmidt-Katter und seine Leute werden es glauben. Wenn sie mich entdecken, bevor ich Perl helfen kann, wird es einen Tumult geben. Und ich werde keine Chance haben, den Arzt zu retten.»
Carolin versuchte, diese Information schnellstens mit ihrem bisherigen Wissen abzugleichen. Wenn dieser Fremde tatsächlich wusste, wo Leif steckte, und wenn er auf merkwürdige Art etwas mit dem Todesfall zu tun hatte und deshalb die Enttarnung fürchtete, dann könnte sie von ihm einiges erfahren. Auch wenn er ihr nicht geheuer war, könnte er tatsächlich wichtig sein bei ihrer Suche. Und welche andere Chance bot sich ihr?
Bislang hatte sie nicht mehr als eine vage Vermutung, dass sie Leif auf Deck 5 finden würde. Das war eindeutig nicht viel. Und wenn der Fremde sie reinlegte? Warum sollte sie sich darüber den Kopf zerbrechen, zu verlieren hatte sie doch im Moment ohnehin nichts mehr. Also …
Er kam näher. «Bitte, gehen Sie nach oben. Sie können doch behaupten, Sie hätten Hilfeschreie gehört.»
«Und dann?»
«Dann werden die Leute von der Security Perl befreien und Ihnen dankbar sein, dass Sie ihn gefunden haben. Bitte!»
«Sie haben gesagt, Sie wissen, wo Leif Minnesang steckt. Sie haben von einem Motiv gesprochen, wegen dem Sie als Mörder von Wolfgang Grees verdächtigt werden könnten …»
«Ich werde Ihnen alles erzählen, was ich weiß!»
Sie ging einen Schritt zurück, seine Nähe war unangenehm. «Wer sagt mir, dass Sie noch da sind, wenn ich Ihre Bitte erfüllt habe?»
«Ich sag es Ihnen.»
Vertrauenerweckend sah er nicht gerade aus, als Carolin ihn nun taxierte. Ein weiterer Schritt von ihm in ihre Richtung ließ ihr den Atem stoppen.
«Ich gebe Ihnen mein Wort», wiederholte er sich. «Und ich weiß auch, dass Sie derzeit ziemlich allein dastehen. Ichbiete Ihnen meine Hilfe an. Ich weiß, was dieser Bernstein und Ebba John mit Ihrem Kollegen angestellt haben.»
«Sagen Sie es mir jetzt. Und dann …»
«Nein», fuhr er ihr aufgeregt ins Wort. «Beeilen Sie sich, und retten Sie Doktor Perl das Leben. Sie wollen ihn doch nicht umkommen lassen?»
«Okay, ich sage Bescheid.»
Der Schweißer schien erleichtert zu sein. «Ich warte draußen auf Sie. Neben dem großen Pool an Deck.»
Carolin drehte sich um. Sie spürte die Blicke des Mannes auf ihrem Rücken, als sie die Zwischentreppe hinaufging.
Pieter
Ohne Carolin ging es nicht. Ohne sie würde er es nicht schaffen.
Seit ewigen Minuten suchte er nun schon nach ihr. Doch das Schiff war riesig, noch nie war es ihm so groß erschienen wie jetzt.
Inzwischen musste sie längst die durchwühlte Kabine und sein Verschwinden bemerkt haben. Sie hielt sich also mit Sicherheit irgendwo anders an Bord des Schiffes auf, nicht in den eigenen vier Wänden. Sie musste die Gefahr erkannt haben. Egal, ob sie nun dachte, dass diese Bedrohung von ihm oder jemand anderem ausging. Das Chaos in ihrer Kajüte sollte sie gewarnt haben. Er musste sie suchen. Er musste ihr sagen, dass er nichts damit zu tun hatte.
«Warum bist du eigentlich an Bord der
Poseidonna
?», würde sie ihn fragen. Sie stellte immer die richtigen Fragen.
Früher oder später würde sie selbst darauf stoßen, dassall die Fallen, die er bislang gestellt hatte, auch ohne seine Anwesenheit als blinder Passagier funktioniert hätten.
Das Kabel zwischen den Motoren hat die
Poseidonna
manövrierunfähig gemacht. Der V W-Bulli hatte zwischen den Brückenpfeilern auf die Kollision mit dem Schiff gewartet. Er hätte also auch scheinbar unbeteiligt am ganzen Desaster als Zuschauer auf dem Deich sitzen können. Ein nettes Transparent in den Händen, eine betroffene Miene im Gesicht. Die beiden Sabotageakte hätten genauso funktioniert. Und er wäre nicht in Gefahr gewesen, entdeckt zu werden. Sie hätten ihn nicht gefunden. Warum war er an Bord der
Poseidonna
?
Sie sollte ihm diese Frage stellen. Denn sie selbst war die Antwort. Er würde sie direkt anschauen und gestehen: «Ich bin hier, weil ich wusste, dass du mitfahren würdest.»
Er würde sich einen Platz an Deck suchen. Von dort hatte man eine gute
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