Halbmast
Die
Poseidonna
schob sich auf die Schmidt-Katter-Brücke zu. Die Werft hatte vor einigen Jahren dieses große Bauwerk errichten lassen. Schon für die kleineren Containerschiffe hatte man die normalerweise hier über die Ems führende Straße hochklappen müssen. Doch für die
Poseidonna
wäre selbst diese Durchfahrt zu schmal gewesen, aus diesem Grunde hatten zwei gewaltige Kräne auch die seitlichen, nicht klappbaren Teile der Straße ausgehoben. Die asphaltierten Platten schwebten sicher vierzig Meter über dem Flussufer, darunter war alles abgesperrt. Hinter den Barrikaden standen dunkle Trauben von Schaulustigen, die abwechselnd zur in der Luft baumelnden Straße und zum Schiff blickten.
Die Brückenpfeiler lagen eng beieinander, viel Platz war da wirklich nicht. Als Pasternak den vorderen Schiffsteil in die Lücke hatte gleiten lassen, wirkte es, als passe links und rechts gerade mal ein Blatt Papier zwischen Beton und Stahl.
Die Lotsen neben dem Steuerstand kontrollierten technische Geräte, der schüchterne Steuermann schien einer Ohnmacht nahe. Jeder hielt die Luft an, selbst den Menschen am Ufer konnte man die Atemlosigkeit ansehen, nur Pasternak blieb entspannt. Sein zufriedenes Schnaufen war das einzige Geräusch im Ruderhaus.
Und dann gab es wieder eine Störung, einen Ruck. Nicht ganz so heftig wie beim ersten Mal, als man das Gefühl hatte, gegen eine Mauer zu fahren. Es fühlte sich eher so an, als hake die
Poseidonna
im Fluss fest wie ein Kamm in zerzaustem Haar.
Die Souveränität des Kapitäns schlug augenblicklich in alarmierte Wachsamkeit um.
«Was war das?», japste Schmidt-Katter. «Haben wir die Brücke gerammt?»
Die Lotsen schüttelten beide die Köpfe, als wären ihre Bewegungen aufeinander abgestimmt. Der eine zeigte mit dem Finger auf ein undefinierbares Etwas, welches sich an dem Gerät, das man Carolin als Tiefenmesser erklärt hatte, abzeichnete. «Eine Untiefe im Fluss!»
«Das kann nicht sein!», überschlug sich Schmidt-Katters Stimme. «Unsere Kontrollboote haben erst letzte Woche den Flusslauf untersucht. Es ist unmöglich!»
«Schauen Sie doch selbst. Dort liegt etwas. Es scheint ziemlich groß zu sein.»
«Wir stoppen!», sagte Pasternak kopfschüttelnd. «So ein Mist!»
Dann gab es Gerenne, Nervosität, bei einigen auch ein wenig Verzweiflung. Meldungen, von denen Carolin kein Wort verstand, wurden gefunkt.
Jetzt könnte ich mich in den Vordergrund spielen, dachte Carolin. Genau jetzt wäre der richtige Augenblick, um sich hinzustellen und Pieter zu verraten. Was immer eben geschehenwar, es war eindeutig sein Werk. Es war das, wovon er gesprochen hatte, als er sagte, es sei noch nicht zu Ende. Wieder irgendein Hindernis, mit dem er die
Poseidonna
, die Schmidt-Katter-Werft, wen auch immer in die Knie zwingen wollte. Sie wäre nun in der Lage, die Fronten zu wechseln. Wenn Carolin ihnen den Schuldigen präsentierte, wenn sie Pieter finden und ihn vorführen würde, so würde sie eine Art Verbündete für Schmidt-Katter und seine Leute werden und sich selbst aus der Schusslinie bringen. Vielleicht. Wusste sie überhaupt, worum es hier ging? Sie ahnte, was mit Leif geschehen war. Sie ahnte, dass es etwas mit seinen Andeutungen des vergangenen Abends zu tun hatte. Doch es waren nur Ahnungen. Das Einzige, was sie wirklich wusste: Sie konnte niemandem trauen. Selbst wenn sie Pieter ans Messer liefern würde, stünde sie dennoch allein da.
Während ringsherum das Chaos herrschte, gelang es Carolin, einen klaren Kopf zu bewahren. Sie schwieg. Sie sagte nichts von Pieter. Doch sie hoffte zugleich, dass sie auf diese Weise nicht die beste Chance vertan hatte, ihren eigenen Hals zu retten.
«Ein Bus!», rief einer der Lotsen und holte Carolin mit seiner Aufregung aus ihrem inneren Monolog. «Ich glaub, ich spinne, aber unter uns liegt ein Autobus oder ein Lkw, aber ich meine, es ist ein …»
«Bus!» Pasternak nickte.
Der Sicherheitsmann, auf dessen Namensschild stand, dass er Roger Bernstein hieß und Leiter der uniformierten Mannschaft war, mischte sich ein: «Jemand muss ihn dort hinten über die neue Kaimauer gelenkt haben. Das kann nur in den letzten zwei Tagen geschehen sein, davor haben wir den Tiefgang regelmäßig kontrolliert!»
«Aber wenn ein Bus in die Ems fährt, so muss es doch jemandmitbekommen haben», sagte Schmidt-Katter schlaff. Man sah ihm an, dass seine Nerven blank lagen.
«Entschuldigen Sie, Herr Schmidt-Katter. Ich gebe Ihnen meine Hand
Weitere Kostenlose Bücher