Halbmondnacht
sich für jedes Problem eine Lösung finden lässt«, versicherte ich ihm. »Du musst nur fest genug daran glauben.« Ich wandte mich wieder an Naomi: »War er eigentlich immer schon so, oder ist das eine Nebenwirkung des Untotseins?«
»Wenn du mit ›so‹ meinst, ob er immer schon … willensstark war«, erwiderte Naomi und verkniff sich rasch das Grinsen, das ihr unbedingt aufs Gesicht wollte, » alors , so ist er immer schon gewesen. Vom Tag seiner Geburt an.«
Daraufhin sagte ich zu Eamon, dem Wüterich: »Um negative Folgen für dich zu vermeiden, kannst du ja deiner geliebten Königin Folgendes sagen: Du glaubst , deine Schwester habe durch die Hand Selenes den endgültigen Tod gefunden, und bist geflohen. Oder in der Langfassung: Naomi hat den Befehl der Königin ignoriert, um uns zu helfen; du hast versucht, sie aufzuhalten; sie ist umgekommen, und du bist zurück an den Hof. Die Königin dürfte gespürt haben, dass das Band zwischen Naomi und ihr gelöst wurde, und wird deine Geschichte für möglich und infolgedessen auch für wahr halten. Alles, was sich später dann noch an ›Mysteriösem‹ ereignet, kann man dann wohl kaum dir anlasten. Falls dann der Königin doch zu Ohren kommen sollte, dass Naomi noch lebt, könnten wir sagen, die kurze Phase, in der sie ›tot‹ gewesen sei, habe das Band reißen lassen.« Ich suchte wieder Naomis Blick. »Ist jemals ein Vampir wieder auferstanden, nachdem er wahrhaft gestorben ist?«
»Non.« Naomi schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Fantastisch«, meinte ich. »Problem gelöst. Falls man dich lebend aufspürt, werden sich zwar alle fragen, wie das möglich ist, aber das spielt keine Rolle, wenn es vorher noch nie passiert ist. Deine Königin hat keinen Grund anzunehmen, mein Blut wäre die eigentliche Ursache für die Lösung des Bandes zwischen euch. Sie wird es immer noch deinem vermeintlichen Tod zuschreiben.«
»So einfach«, explodierte Eamon, »wie du tust, geht das nicht, ganz sicher nicht!«
Naomi wedelte mit der Hand und brachte ihn zum Schweigen, ehe er noch mehr Geifer verspritzen konnte. »Genug damit! Wir verschwenden nur unsere Zeit. Eamon, eine wasserdichte Geschichte spielt momentan noch keine Rolle. Wir wissen nicht einmal, ob ich die Konfrontation mit Selene überhaupt überlebe. Sollten wir Erfolg haben, werden wir uns etwas ausdenken, das vernünftig klingt.«
»Okay, so kann man das natürlich auch sehen«, meinte ich nachdenklich. »Aber ich hoffe wirklich, dass wir alle dieses Abenteuer lebend überstehen.«
Tyler stellte sich neben mich. »Wir müssen jetzt los. Wir vergeuden nur Zeit.«
Ich nickte. »Richtig. Auf geht’s!«
»Ich spüre gerade etwas Merkwürdiges«, sagte ich zu Danny, der gleich neben mir stand. »Die Spielregeln, die Selene aufgestellt hat, ändern sich gerade. Sie will mich unbedingt in die Finger bekommen und wird ungeduldig, weil es so lange dauert.« Mir lief es kalt den Rücken hinunter, als die Magie, die die Luft schwängerte, sich wie ein lebendes Wesen vor uns bewegte. Wir standen auf dem schmalen Felsvorsprung vor der Höhle, aus der wir gerade erst getreten waren. Naomi war zu einem Erkundungsflug aufgebrochen, und wir mussten nun auf ihre Rückkehr warten. Sie sollte nach Ray sehen und einen der Rucksäcke bei ihm lassen. Wir würden unser Gepäck und die Vorräte nicht brauchen, bis wir mit Selene fertig wären. Tyler war mit Eamon losgezogen, den Hang auszukundschaften.
Danny schüttelte den Kopf. »Ich spüre gar nichts außer der Energie, die dank dir durch meine Adern fließt und mir unglaubliche Stärke beschert. Ich fühle mich, als könnte ich es mit jederGottheit aufnehmen und gewinnen.« Er ließ die Muskeln an Armen und Oberkörper spielen und grinste. »Ist ein geiles Gefühl.«
Ich lächelte. »Schön für dich; hoffe ich jedenfalls.« Ich kickte ein paar Steine aus dem Weg und hielt Ausschau nach hässlichen Krabbeltieren, die möglicherweise die Umgebung unsicher machten. Keine Skorpinnen in Sicht. Während meines Blackouts hatte Danny die Umgebung im Auge behalten. Ein paar der Biester waren noch aus den Spalten im Fels weiter unten am Hang gekrochen. Aber es schien, als seien wir hier oben außerhalb ihrer Reichweite. »Den Vampiren zufolge müssen wir erst steil hoch und dann noch ein wenig nach rechts«, sagte ich. »Wenn wir das Portal erreicht haben, gehen wir vor wie geplant.«
Naomi war einverstanden gewesen, die Nachhut zu machen und uns mit den
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