Halbmondnacht
raschen Bewegung die letzten Nachwirkungen der magisch bedingten Detonation loswerden.
Um mich zu orientieren, sah ich die Wand hoch, dafür musste ich den Kopf weit in den Nacken legen, und dann noch einmal hinunter in die Tiefe. Ich hing an der Bruchkante der Felswand. Da, wo der Felsvorsprung mit dem Portal gewesen war, war nichts mehr, die ganze Wand hatte ihr Aussehen verändert.
Tonnenweise Stein abgesprengt.
Unten in der Schlucht türmte sich die durch mein Zutun gerade abgegangene Steinlawine zu einem veritablen Berg. Ich versuchte irgendwo Tyler und Danny zu entdecken, vergebens. Tyler? , sandte ich in Gedanken einen Ruf an meinem Bruder aus.
Hier , antwortete er. Er klang erschöpft und keuchte. Wir sind links unter dir. Ich kann deine Beine sehen. Aber dem Winkel nach, g laube ich, dürftest du uns eher nicht sehen können. Das war ja mal ’ne Explosion. Der ganze Berg hat gebebt. Hast du den Bann brechen können? Kommst du durch das Portal?
Ja, ich denke schon.
Danny versucht, sich gegen den bösen Zauber zur Wehr zu setzen. Er muss sich dringend wandeln. Wir haben eine Stelle ausgemacht, die genug Platz für eine Wandlung bietet. Wir folgen dir, sobald wir können.
Du hast sicher recht. Selenes Zuflucht hat für den Notfall bestimmt mehr als einen Ein- und Ausgang. Sie wird sich ausreichend Fluchtwege offen halten. Hier hat’s die halbe Wand weggerissen. Sucht euch einen anderen Weg hinein. Ich bin ziemlich sicher, dass es einen Eingang oben am Gipfel geben dürfte.
Ich sehe zu, dass ich so bald wie möglich zu dir stoße. Pass auf dich auf, Jess, okay?
Klar doch.
Erneut legte ich den Kopf in den Nacken und blickte himmelwärts. Fünf, sechs Meter über mir war ein schmaler, dunkler Spalt im Fels zu erkennen. Es sah aus, als könnte das der Zugang zu einer Höhle sein. Selene weiß, dass wir am Leben sind , sagte ich meiner Wölfin. Sie ließ die Schnauze zuschnappen: Sie war also ganz meiner Meinung. Sie gab mir auch zu verstehen, dass ich endlich die Wand hochklettern solle. In meiner Lykanergestalt war ich stark, und jetzt, wo die Magie in mir wieder ganz zur Ruhe gekommen war, konnte ich mich auch wieder konzentrieren.
Ich grub meine Klauen dort in den Fels, wo ich Halt fand, und zog mich hoch.
Na, dann mal los.
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
U nmittelbar vor der Felsspalte hielt ich für einen Moment inne. Was von unten wie ein Spalt ausgesehen hatte, erwies sich aus der Nähe betrachtet als Tunnel, der durch den Fels in die Bergflanke getrieben worden war. Die Art von Dunkelheit, die in dem Tunnel herrschte, jagte mir einen kalten Schauer über die Haut. Da lauerte Gefahr. Einen Lidschlag später stach mir urplötzlich der Geruch von Blut in die Nase.
Von Unmengen Blut.
Augenblicklich sträubte sich mir das Fell auf den Armen. Beklemmung kroch mir über Schultern und Nacken, als würde mir eine Armee bissiger Ameisen über die Haut krabbeln. Für eine Menschenfrau war ich schon groß, aber als Lykanerin war ich bei imposanten eins neunzig angekommen. Ich fühlte mich wie ein Monster. Aber imposant zu wirken war schließlich nicht das Schlechteste. Allerdings musste ich deshalb auch den Kopf einziehen, um den Tunnel zu betreten. Nach ein paar Schritten jedoch wurde der Gang höher und breiter. Magie umschwirrte mich, beißend in ihrer Art. Wie zur Probe prickelte sie auf meiner Haut, ließ mich aber ansonsten in Ruhe. Sie will uns, merkst du das? , sagte ich meiner Wölfin.
Ich schaltete einen Gang hoch und trabte den kurzen Tunnel hinab.
Plötzlich verengte er sich und bog abrupt im Neunzig-Grad-Winkel nach links ab. Kaum war ich um die Ecke, umfing mich absolute Dunkelheit. Ich drosselte das Tempo etwas und tastete mich an den Wänden entlang. So musste ich mich nicht alleinauf meine Augen verlassen. Ich konnte im Dunkeln sehen, aber in solcher Finsternis erkannte auch ich nur noch vage Umrisse. Wenn wir da sind, wird es sicher unschön , meinte ich. Wir müssen ganz besonders vorsichtig sein, sonst ist es aus mit uns. Meine Wölfin knurrte. Sie war bereits auf der Hut.
Nun musste ich nur noch ihrem Beispiel folgen.
Ehe ich um die nächste Ecke bog, zapfte ich meine innere Quelle an. Ich hatte eine Menge Energie gegen die Torwächter-Ziege einsetzen müssen, doch mein Magie-Reservoir füllte sich schnell wieder. Innerlich vorbereitet bog ich um die Ecke. Kerzenschein warf flackernde Schatten auf die Tunnelwände. Das Licht musste aus einer größeren Höhle kommen. Ich huschte bis
Weitere Kostenlose Bücher