Halbmondnacht
war da. Damit Rourke aufwachen konnte, musste ich den Bann endgültig brechen. Aber zuerst wollte ich sehen, ob auch ohne mein Zutun und ohne dass Rourke bei Bewusstsein wäre, seine Haut heilte. »Alles wird gut, Rourke«, flüsterte ich und beugte mich über ihn. Ich strich ihm über das verfilzte Haar und dann die Wange entlang. Meine Wölfin verstummte und legte sich hin. Wir beide warteten darauf, was nun passieren würde.
Rourke regte sich, als ich ihn berührte, und seine Haut begann zusammenzuwachsen.
Die Wunden heilen! Meine Wölfin sprang auf und bellte fröhlich. Er ist zu stark für Selenes Zauber. Den Göttern sei Dank! Ein normaler Übernatürlicher hätte derart schwere Verletzungen wohl kaum überlebt. Aber Rourke war kein normaler Übernatürlicher.
»Geh von mir runter, Vieh!«, schnauzte Selene. Danny flog rücklings von ihr herunter und landete auf dem Holztisch, der beim Aufprall mit lautem Krachen zerbarst.
Ich hob den Kopf und sah, wie Selenes Fingerspitzen rote Funken sprühend auf ihr nächstes Ziel schwenken.
»Ray, aus dem Weg!«, brüllte ich. Reaktionsschnell ging Ray in Deckung; seine Jahre im Polizeidienst und draußen auf den Straßen machten sich bezahlt. Wenn ein Kollege »Deckung!« brüllt, geht man in Deckung oder ist tot. Ray war zwar nicht annähernd so schnell wie ein Übernatürlicher, aber er schaffte es dennoch rechtzeitig. Selenes Magieblitz traf den niedrigen Felsbrocken,hinter den Ray sich mit einem Sprung gerettet hatte. Der Fels explodierte; Steinsplitter flogen umher, und eine Staubwolke hing über dem Schauplatz des Geschehens. »Bleib in Deckung, Ray. Du hast deinen Auftritt gehabt. Jetzt mach, dass du hier rauskommst, solange du’s noch kannst!«
Beim Klang meiner Stimme wirbelte Selene herum und hatte den Menschen, der sie so unglaublich genervt hatte, einen Lidschlag später bereits vergessen. Genau das hatte ich beabsichtigt. Ich nahm meine Hände von Rourkes Brust, aber nicht bevor ich ihm einen Energiestoß von meiner Magie hatte zuteilwerden lassen, um auch den letzten Rest von Selenes Zauberbann in ihm zu brechen.
Rourke stöhnte auf.
Ich erhob mich, trat über ihn hinweg, damit ich als lebender Schutzschild zwischen ihm und Selene stünde.
»Geh von ihm weg, sofort!«, fauchte sie und warf Rourke einen wollüstigen Blick zu. Sie hob die Arme, rote Linien sprühten wie Funken aus ihrer Fingerspitzen. Daran, dass ihr Bikerbraut-Outfit vollkommen zerfetzt war und ihre Haare völlig zerzaust, schien sie keinen Gedanken zu verschwenden. »Er gehört mir! «
Ich hatte keine Lust mehr auf Spielchen. Ich sprang hoch und weit und landete auf allen vieren auf der ersten der breiten Stufen zu dem Podest mit Selenes Prunkbett. Mein Plan war, Rourke so viel Zeit zum Heilen zu verschaffen wie irgend möglich. Danny, immer noch in Wolfsgestalt, krümmte sich links von mir vor Schmerzen und Anstrengung. Er versuchte, mit dem Zauber fertigzuwerden, den Selene gegen ihn eingesetzt hatte. Durch unser Blutband sandte ich ihm rasch zusätzliche Energie. Ich konnte ihn spüren und hoffte, das wäre wechselseitig und er könnte die Magie nutzen, die ich ihm zugedacht hatte. Von meinem Vater wusste ich, dass Alphas Magie auf Rudelangehörige übertragen können. Nur hatte ich das noch nie versucht und deshalb auch keine Ahnung, ob das auch für mich und diejenigen gälte, die mitmir über mein Blut verbunden waren. Kurz huschte mein Blick auf der Suche nach Tyler durch die Höhle. Ich konnte ihn nirgends entdecken und fragte mich, wo zum Henker er abgeblieben war. Außerdem hoffte ich inständig, Ray möge gesunden Menschenverstand beweisen und in seinem Versteck bleiben.
Ein Magieblitz schlug wenige Zentimeter vor mir ein.
Selene kam auf mich zumarschiert. Eilig allerdings hatte sie es nicht. Wir würden nirgendwohin gehen, und sie wusste das. Sie hielt ein Publikum in ihrer Todeshöhle gefangen. Genau wie es ihre Absicht gewesen war.
»Deinen Tod möchte ich genießen wie noch keinen anderen.« Wieder schickte sie rote Magieblitze zu mir herüber. »Ich werde immer gern an den heutigen Tag zurückdenken.«
Ohne große Mühe wich ich den Energieentladungen aus. Ich sprang einfach die Stufen zum Bett hinauf und rollte mich darüber hinweg, um dahinter Deckung zu suchen. Dabei beharkten meine Krallen Bettzeug und Laken derart, dass sie in Fetzen rissen. Was ich genüsslich registrierte. Hinter dem Bett presste ich mich flach auf den Boden, als Magieblitze über meinem
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