Halbmondnacht
Kopf explodierten und den großen Kronleuchter in der Kuppel nur knapp verfehlten. Die Kuppel bebte, Wachs tropfte wie ein Regenschauer auf die sowieso schon ruinierte Seide herab. Kein sonderlich guter Platz für einen Kerzenleuchter, außer man ist sadistisch oder masochistisch veranlagt.
»Meinetwegen lauf weg, versteck dich; es wird dir nichts nützen. Denn ich werde dich überall finden«, verkündete Selene, während sie auf mich zumarschierte. »Wenn ich muss, sprenge ich diese ganze Höhle in die Luft. War noch nie einer meiner bevorzugten Zufluchtsorte.« Ihre Stimme verriet, wie angewidert sie von der Felsenkuppel war. »Es ist so ein primitiver Ort, so dreckig. Ich nutze ihn nur für längere Foltersitzungen und Bestrafungen anderer Art. Du jedenfalls wirst hier sterben, und ich werde mich woanders erholen.«
»Du wirst dich nirgends mehr erholen, Selene«, rief ich. »Du wirst dich nämlich in der Hölle wiederfinden, sobald ich mit dir fertig bin! Oder gibt es einen anderen Ort, an dem in Leder gekleidete Gottheiten, die ihre Seele verkauft haben, nach dem wahren Tod landen? Die Unterwelt ist ganz heiß darauf, mit dir eine Arbeitsstudie in Sachen Folter und Gewalt durchzuführen. Ich bin nur hier, um sicherzustellen, dass du deine Verpflichtung auch brav erfüllst. Ganz sicher reiben sich Teufel und Dämonen bereits die gierigen Patschhändchen, während wir uns hier noch gepflegt unterhalten.«
» Ich gehe sicher nicht in die Unterwelt, nicht einmal in ihre Nähe«, höhnte sie und blieb vor dem Bett stehen. »Ich schulde den Dämonen nichts. Die geflügelten Teufel haben ihre Aufgabe nicht erfüllt. Also ist unsere Vereinbarung hinfällig.«
»Ich fürchte, du hast eine versteckte Klausel im Vertragstext übersehen, Selene. Wer hätte das gedacht?« Ich hob den Kopf, bis ich über die Matratze hinweg auf meine Gegnerin schielen konnte. »Du hättest dir einen Anwalt nehmen und dem Kleingedruckten mehr Aufmerksamkeit widmen sollen.«
»Da war nichts versteckt!«, schäumte sie und sandte mir die nächste Ladung Magieblitze. Die Matratze riss es in Stücke, während ich die Stufen hinunterhastete und die Rückseite des Podests umrundete.
»Ich habe deine Schoßtierchen mit meinem Blut verbrannt, als sie mich angenagt haben«, berichtete ich in spöttischem Ton. »Von denen ist nur noch Asche übrig.« Gut, eigentlich hatten sie sich eher in klebriges, dickflüssiges Harz verwandelt, aber Asche klang so viel dramatischer. »Sie sind nicht nach Hause zurückgekehrt, um sich da zu regenerieren. Nein, sie sind endgültig hopsgegangen, verstehst du?«
»Unmöglich!« Ihre Wut ließ die ganze Felskuppel erzittern. Die Gerätschaften an den Wänden, die Stühle, alles bebte. Endlich raste Selene vor Wut. »Was du sagst, ist absolut unmöglich!Nicht einmal ich kann auf dieser Ebene ein Wesen aus der Unterwelt töten.«
»Und? Siehst du sie hier irgendwo?«, höhnte ich. Wieder hob ich den Kopf und tat, als sähe ich mich um. »Wo du doch mit deiner Seele einen ziemlich gepfefferten Preis bezahlt hast, sollte man meinen, sie würden hier herumschwirren, oder nicht?«
»Miststück!« , brüllte sie und holte zur nächsten Energieentladung aus. Das, was vom Prunkbett noch übrig war, wurde zu Staub zerblasen: Baumwollfetzen und Holzsplitter vom Kopfende, das in tausend Stücke riss, schossen in alle Richtungen davon. Ich wich allem aus, was mir gefährlich werden konnte, und stürmte los, möglichst weit von dort weg, wo Rourke lag. Selene fuhr herum, fauchte und zielte mit den Fingern auf mich. »Dich koche ich von innen nach außen gar!« Dem Tonfall nach war sie außer Rand und Band, schlicht dem Wahnsinn verfallen. Das konnte für mich nur von Vorteil sein. »Ich werde dir Schmerz und Qual in einem Maße zufügen, wie du es dir nicht ansatzweise vorstellen kannst. Du wirst um Gnade winseln! « Ihr Porzellangesicht war vor Grausamkeit derart verzerrt, dass man hätte meinen können, Schneewittchens böse Stiefmutter sei auferstanden.
Meine Wölfin knurrte und machte sich kampfbereit. »Du wirst diejenige sein, die um Gnade winselt, Selene«, entgegnete ich und suchte die Felsenkuppel mit Blicken ab. Ich war noch uneins, wie mein nächster Zug aussehen sollte.
Dann sah ich das, wonach ich Ausschau gehalten hatte, und lächelte.
Habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe? , fragte ich meinem Bruder. Du bist wirklich der Held des Tages.
War gar nicht so schlimm, einen Vampir zu nähren ,
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