Halbmondnacht
sie nicht überqueren können. Wenn es uns gelingt, Danny und Naomi wieder in den Wald hineinzuziehen, werden die Viecher vielleicht wieder verschwinden.«
»Jess, es sind viel zu viele.« Tyler ließ meinen Arm los undbegann, unruhig am Waldrand auf und ab zu laufen. »Ich kann versuchen, zu rennen, was die Beine hergeben. Aber ich bin alles andere als sicher, dass ich beide, Danny und Naomi, zu fassen bekomme, ehe diese Blutsauger mich auch festnageln. Sieht aus, als ob die sich dauernd vermehren. Jedes Mal, wenn Danny eines von den Biestern erledigt hat, nimmt auch schon ein neues seinen Platz ein.« Er hatte in beiden Punkten recht: Sie zu erledigen, dezimierte sie nicht, im Gegenteil: Es sah so aus, als wären es jetzt tatsächlich doppelt so viele wie zu Anfang. So kämen wir also nicht weiter.
»Eamon!« Ich fuhr herum und rannte zu ihm. Er stand immer noch wie erstarrt da und rührte sich nicht. »Du musst uns helfen, deine Schwester zu retten. Eamon! «
Gleichmütig starrte er geradeaus. »Man kann ihnen nicht mehr helfen. Die Camazotz wurden zu Selenes Schutz aus der Unterwelt heraufbeschworen. Dafür dürfte Selene mit einem Teil ihrer unsterblichen Seele bezahlt haben. Die Klauen der Camazotz sind scharf wie Rasierklingen, ihr Biss ist giftig. Diese Biester sind selbst in der Unterwelt gefürchtet. Wir können sie nicht aufhalten.«
»Blödsinn!«, kreischte ich vollends frustriert und warf die Arme in die Höhe. »Alles, was existiert, kann auch bezwungen werden. Sie müssen irgendeine Schwäche haben.« Selbst in meinen Ohren klang ich nachgerade verzweifelt. »Denk nach, Eamon! Mein Freund stirbt da draußen, und ich helfe ihm, komme, was da wolle! Du kennst Selene, und du weißt, woher diese Biester kommen; denk nach, sie haben eine Schwachstelle!«
»Ein Hexenzauber«, meinte Eamon plötzlich, wenn auch zögerlich. »Ein Zauber könnte Wirkung auf sie haben, wenn auch nur zeitweilig. Denn kein Zauber kann sie töten. Die Camazotz sind Dämonenbrut, und Dämonenmagie speist sich aus Blut. Hexen dagegen sind von Geburt her gegen Blutmagie geschützt. Ihre Zauberkraft wird aus der Erde gespeist. Aber keine Hexebesitzt genug Macht, um Kreaturen wie die Camazotz tatsächlich zu töten.«
»Ein Hexenzauber?« Tallys Pfeile! Tallulah Talbot war eine mächtige Hexe. Wenn ihre Magie nicht stark und mächtig genug war, um diese Biester umzuhauen, wenigstens für ein paar wertvolle Sekunden, dann könnte es auch kein anderer Hexenzauber. »Ich habe magische Pfeile in meinem Gepäck.« Ich hastete zu meinem Rucksack, zog rasch den Reißverschluss auf, krallte mir das Bündel mit Pfeilen, das gleich obenauf gelegen hatte, und wickelte es auseinander. Dabei ging ich mit der nötigen Vorsicht vor und ließ mich nicht zu falscher Hast verleiten. Ich wollte die Pfeile schließlich nicht über den ganzen Boden verteilen oder die Phiolen vorzeitig zerbrechen. Welchen der Pfeile ich aber auswählen sollte, wusste ich nicht. Sie hatten eine farbliche Kodierung, wie ich mich erinnerte. Aber was welche Farbe zu bedeuten hatte, wusste ich nicht mehr, und so etwas Hübsches wie Etiketten gab es nicht. Zwei blaue, zwei grüne, ein orangefarbener und ein gelber Pfeil; alles Farben, die anders waren als die, die ich von Marcy gewohnt war. »Welche Pfeile sollen wir nehmen?« Ich hob den Kopf und blickte hilfesuchend zu meinem Bruder auf, der zu mir herübergekommen war.
Er kniete sich neben mich. »Es sind nicht genug Pfeile für jedes dieser teuflischen Biester.«
Danny heulte auf, und Tyler und ich schauten uns ruckartig zu ihm um. Er kroch auf Naomi zu und riss sich dabei die Biester aus dem Fleisch, in das sie sich verbissen hatten. »Runter von mir, ihr Scheißviecher!«, brüllte er. »Ihr bringt mich nicht um. Naomi, bleib bei uns! Naomi!«
Er erreichte sie und riss nun ihr die Fledermäuse vom Leib; alles nur, damit sie Sekunden später schon wieder an ihr oder ihm hingen.
»Wir haben keine andere Wahl.« Mit dem Bündel in der Hand sprang ich auf. »Wir müssen die Pfeile jetzt gleich werfen, sonstsind die beiden tot.« Ich bleckte die Zähne, während ich beobachtete, wie Danny den aussichtslosen Kampf unbeirrt weiterkämpfte. »Tyler, wir müssen etwas tun, jetzt gleich!«
»Ziel mit den Pfeilen auf Naomi und Danny«, riet Eamon mir und kam zu uns herüber. »Wenn die Zauber durch ihre Blutbahnen zirkulieren, kontaminiert das augenblicklich auch die geflügelten Teufel. Denn die Camazotz fressen ihr
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