Hale 1 Piraten der Liebe
Kind von ganzem Herzen lieben.
Martha fing an, sich ernsthafte Sorgen wegen Cathys Melancholie zu machen, und beriet sich mit Sir Thomas in nicht enden wollenden Gesprächen über dieses Thema. Er wurde langsam auch unruhig. Abgesehen von dem dicken Bauch hatte das Mädchen an Gewicht verloren, und sie war fremdartig still. Sir Thomas fing an sich zu fragen, ob er das Richtige getan hatte. Er wußte, daß auch jetzt noch alles in seiner Hand lag, aber falls er seine Pläne tatsächlich ändern wollte, mußte er schnell handeln. Nach dem dritten Januar würde es zu spät sein. Cathy wäre dann wirklich Witwe.
Das >Newgate-Gefängnis< war ein schrecklicher Ort, wie Sir Thomas bei dem ersten seiner zahlreichen Besuche dort festgestellt hatte. Für einen Gefangenen ohne Freunde oder Geld, der zum Tode verurteilt war, war es die Hölle selbst. Die Wachen machten sich nichts daraus, einen zum Tode verurteilten Mann in den Gefängnishof zu schleppen, an den Pfahl zu binden und so lange zu
peitschen, bis das Blut lief. Sir Thomas hatte herausgefunden, daß eine beiläufig hingeworfene Silbermünze eine solche Behandlung sicherstellte. Er mußte sein Geld nicht einmal darauf verschwenden, die Wachen zu bestechen, damit sie mit dem Essen und dem Wasser zurückhielten. Die gewöhnliche Ernährung im Gefängnis bestand sowieso nur aus einem modrigen Stück Brot und einer Kelle dreckigem Wasser zweimal am Tag.
Sein Rachedurst war beinahe befriedigt, als er sah, wie sich der einst kraftvolle Mann langsam in ein glutäugiges Skelett verwandelte. Wenn Cathy ihren Piraten jetzt sehen könnte, dachte er, und wandte sich von dem stinkenden, ungewaschenen Mann ab. Er achtete immer darauf, außer Reichweite der Hände dieses Mannes zu bleiben, die nur danach lechzten, ihn zu erwürgen. Cathy würde sich vor Ekel übergeben. Es war jetzt nichts mehr an dem Piraten, das junge Mädchenherzen höher schlagen lassen würde, und das fand Sir Thomas sehr befriedigend. Er machte sich wohl manchmal Sorgen darum, wie Cathy reagieren würde, wenn sie durch irgendeinen unglücklichen Zufall erführe, daß ihr Kapitän in Tyburn gehängt worden war, anstatt geflohen zu sein, wie sie angenommen hatte. War es möglich, daß sie auch nach so langer Zeit trotzdem noch ärgerlich sein würde?
Doch keine Wut konnte so groß sein wie die, die Jon Hale auf Sir Thomas hatte. Ein furchtbarer Glanz trat in die beinahe wahnsinnigen, grauen Augen, wenn sie auf Sir Thomas ruhten, und Jons Lippen verzogen sich zu einer häßlichen Grimasse. Auch wenn der Mann an Händen und Füßen angekettet war, wurde er ununterbrochen von bewaffneten Männern bewacht. Trotzdem Wurde Sir Thomas seine Angst vor dem Mann nie ganz los. Der Pirat machte nur einmal den Fehler, nach ihm zu greifen, als Sir Thomas freimütig von den Plänen, die er für die Zukunft seiner Tochter hatte, erzählte. Der Pirat hatte ein unbeschreibliches Geheule ausgestoßen und wollte ihm an die Kehle fahren. Aber Sir Thomas konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite springen, und dann schlugen die Wachen den Mann bewußtlos. Sie schleiften den Gefangenen zum Pfahl und peitschten ihn, sobald sie ihn wieder zu Bewußtsein gebracht hatten. Nach diesem Vorfall stellte sich der Pirat taub, sobald Sir Thomas erwähnte, wie leid es seiner Tochter täte, daß er hier so behandelt würde. In dem Gefühl, daß die Rache seiner Tochter wirklich verdient war, fing er an, vor jedem Auspeitschen zu erzählen, daß nicht er, sondern Cathy es angeordnet habe. Das mörderische Glitzern in den Augen des Piraten oder die kleine Bewegung seiner Wangenknochen überzeugten Sir Thomas davon, daß der Gefangene in der Tat verstand, was er ihm gesagt hatte.
Obwohl Sir Thomas Jon Hale dafür haßte, daß dieser seine Tochter entehrt hatte, fing er an, gelegentlich einen Schimmer von Respekt für den Mann zu empfinden. Der Pirat hatte ein eisernes Durchhaltevermögen. Er gab niemals einen Laut von sich, auch wenn der Schmerz, der ihm zugefügt wurde, unerträglich war. Er zeigte nur eine winzige Reaktion, sobald Cathys Name erwähnt wurde. Aber selbst dann war sein Gesichtsausdruck so unlesbar, daß Sir Thomas ihn unmöglich durchschauen konnte.
Jons Hinrichtung war für elf Uhr am Morgen des dritten Januar angesetzt. Weihnachten kam und ging, und Sir Thomas fing an, ernsthafte Zweifel an der Weisheit seines Entschlusses zu haben. Handelte er wirklich im besten Interesse seiner Tochter, indem er den Piraten hängen ließ?
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