Hale 1 Piraten der Liebe
sagte die Lady mit einem Blick, der ihren Zuhörern jeglichen Widerspruch verbot, war heimlich mit einem Amerikaner in Lissabon verheiratet worden, bevor sie nach England reiste. Der unglückliche Bräutigam war an einem schweren Fieber erkrankt und starb einige Tage nach der Zeremonie. Da hatte ihr Vater die trauernde Cathy einfach mitgenommen, um den Sommer mit ihr bei ihrer Tante zu verbringen, in der Hoffnung, daß dieser Tapeten Wechsel das richtige wäre, um den Kummer der jungen Witwe zu zerstreuen. Als die >Anna Greer< von den Piraten überfallen wurde, war Cathy bereits schwanger. Der Kapitän der Piraten hatte ihren Zustand wahrgenommen und der werdenden Mutter zuvorkommend seine Kabine angeboten. Er hatte sich ihr gegenüber selbstverständlich vollkommen anständig benommen. Sir Thomas hatte seine Tochter in Cadiz wiedergefunden, nachdem die Duchesse von Kent und diese unverschämten Kaufleute gegen Lösegeld freigelassen worden waren. So hatte sich alles in Wirklichkeit zugetragen. Auch wenn die feine Gesellschaft hinter vorgehaltener Hand über die ganze Sache herziehen mochte, sobald Lady Stanhope nicht anwesend war, so hatte doch niemand den Mut, ihr offen zu widersprechen. Cathy war nicht wirklich undankbar angesichts der Anstrengungen ihrer Tante. Sie waren ihr einfach gleichgültig. Sie hatte nicht einmal das Bedürfnis, nach der Geburt ihres Babys in der feinen Gesellschaft zu glänzen oder sich überhaupt mit ihr zu befassen. Es würde ihr weitaus besser anstehen, sich mit ihrem Kind aufs Land zurückzuziehen, sagte sie ihrem Vater. Sir Thomas war völlig entgeistert. Er sah, daß alle seine geschickten Arrangements von den Launen dieser unverständlichen Frau abhingen. Also bat er Martha um Beistand, um Cathy die Vorteile einer Stellung in der vornehmen Politwelt klarzumachen und sie auch von einer zweiten Heirat zu überzeugen. Als Cathy mit nicht zu leugnender Logik darauf hinwies, daß eine zweite Heirat außer Frage stand, weil sie nicht wirklich Witwe war, drehte und wendete sich Sir Thomas unbehaglich und sagte ihr, sie solle sich über solche Sachen nicht ihren hübschen Kopf zerbrechen. Wenn es soweit wäre, würde sich schon alles arrangieren lassen, sagte er.
Außer Lady Stanhope, Cathy, Sir Thomas und den Dienstboten lebte auch der gegenwärtige Lord Stanhope in dem Haus am Grosvenour Square. Der plumpe, schweinsgesichtige Mann war das einzige Kind von Lady Stanhope, und sie hütete ihn wie ihren Augapfel. Sie hatte nichts dagegen, daß er auf seine kleine Kusine heruntersah und sie als zügellos bezeichnete. Sie konnte ihm nur zustimmen. Cathys eigene unzureichende Charakterzüge hatten dem Mädchen seinen Niedergang eingetragen, wie Lady Stanhope immer wieder betonte. Cathy ging rücksichtsvoll mit der Karriere ihres Vaters um, da ihr Abenteuer bereits eine beträchtliche Hürde für sein Vorankommen darstellte, und hielt gegenüber ihrer Tante den Mund, so gut es ging. Ihrem Cousin Harold gegenüber hatte sie jedoch keine Skrupel. Sie verachtete ihn und scherte sich nicht darum, ob andere es bemerkten.
Am ersten Dezember war Cathy im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft. Sie fühlte sich genauso groß und behäbig wie eine schwangere Sau, und die Unzufriedenheit mit ihrer äußeren Erscheinung machte sie ungeduldig und schnippisch gegenüber jedem, der in ihre Nähe kam. Die Spannung im Haus wurde so groß, daß sie sich gezwungen fühlte, die meiste Zeit in ihrem Schlafzimmer zu verbringen. Es war groß und elegant möbliert: ein großes Bett mit einer Satindecke, ein kleiner Schminktisch mit Spiegel und ein goldener orientalischer Plüschteppich. Aber der Mangel an frischer Luft und Bewegung machte Cathy rastlos. Sie verbrachte ihre Tage damit, nebeligen Träumen nachzuhängen. »Wenn Jon mich nur geliebt hätte!« war ihr übliches Thema, und Cathy konnte diese Gedanken nicht verbannen. Schließlich schaffte sie es, sich davon zu überzeugen, daß ihre Liebe zu Jon, wenn sie überhaupt jemals existiert haben sollte, jetzt jedenfalls tot war. An ihre Stelle war eine durch nichts auszufüllende Leere und Lähmung getreten.
Mit jedem Tag, der verging, wurde das Heranwachsende Kind realer. Sie konnte fühlen, wie es sich in ihr bewegte; seine kleinen Tritte und Bewegungen waren wie das Flattern eines Schmetterlings in ihrem Bauch. Sie war ganz aufgeregt bei dem Gedanken, daß sie ihr Kind in weniger als drei Monaten in den Armen halten würde. Trotz Jons Verrat würde sie ihr
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