Hale 1 Piraten der Liebe
sein anziehendes, schönes Gesicht aus ihren Gedanken zu verbannen, war es völlig ohne Erfolg geblieben, weil sie jeden Tag durch ihr zappelndes Baby daran erinnert wurde. Der Mann fing an, sie wie ein Geist Tag und Nacht zu verfolgen.
Sobald sie ihre Augen schloß, hatte sie sofort sein Bild im Kopf, wie er breitbeinig auf dem Achterdeck der >Margarita< stand und ein warmer Wind sein dichtes, schwarzes Haar zerzauste. Wahrscheinlich segelte er jetzt gerade auf seinem Schiff um die Welt und griff unterlegene Schiffe an oder machte Liebe mit einer ganzen Menge von willigen Frauen. Cathy fühlte eine lang verdrängte Wut bei dem Gedanken in sich hochsteigen; wenn sie sich vorstellte, daß sein Mund auf den lustvollen Lippen einer großäugigen polynesischen Schönheit lag! Bastard, dachte sie wütend, als sie sich daran erinnerte, wie unfreundlich er sie behandelt hatte, als er das von dem Kind erfuhr. Er war es nicht wert, daß sie ihm auch nur eine einzige Träne nachweinte - nicht, daß sie überhaupt vorhatte, ihm nachzuweinen. Es war schon schlimm ge- nug, daß er sie einfach sitzengelassen hatte, sie, seine Ehefrau, egal, ob er nun mit der Heirat einverstanden gewesen war oder nicht! Aber daß er so einfach ihr ungeborenes, gemeinsames Kind allein gelassen hatte, rechtfertigte jedes häßliche Wort, das ihr Vater jemals über ihn gesagt hatte. Jon Hale war ein herzloser und gewissenloser Bandit, der Vorteil aus ihrer Unschuld gezogen hatte, indem er in ihr den Glauben erweckt hatte, ihn zu lieben. Seine eigenen Handlungen verurteilten ihn in Cathys Augen.
»Entschuldigen Sie, Miß Cathy. «
Marthas zerknirschter Ton brachte Cathy zurück in die Gegenwart. Der Frau war deutlich anzusehen, daß sie sich am liebsten die Zunge abgebissen hätte, statt Cathy an den Urheber all ihrer Probleme zu erinnern. Cathy lächelte Martha plötzlich warm an, denn die alte Frau bedrückte es sehr, das Mädchen so unglücklich zu sehen.
»Welches Kleid soll ich heute anziehen? « Mit dieser Frage hoffte sie, ihre Kinderfrau auf ein alltägliches Thema abzulenken, und es funktionierte glänzend. Mar- | tha war sichtlich erfreut darüber, daß ihr Schützling endlich doch einmal wieder an Kleidern Interesse zu haben schien. Seit das Mädchen aus den Händen dieses unseligen Piraten gerettet worden war, war sie trübsinnig und apathisch gewesen, was so gar nicht zu ihrem ursprünglichen Wesen paßte. Normalerweise hatte sie es jetzt Martha überlassen, das Kleid für den Tag auszusuchen, und nicht einmal einen einzigen Blick in den schönen Spiegel in der Ecke geworfen, wenn sie fertig bekleidet war. Nicht, daß es unter ihren Kleidern eine große Auswahl gegeben hätte; das mußte selbst Martha zugeben. Die lächerliche Geschichte, daß das Mädchen Witwe sei, verurteilte sie dazu, Schwarz zu tragen, wobei jede Schleife und jedes Ornament verboten waren. Der einzige Schmuck, den sie tragen durfte, war der einfache, goldene Ehering, den Sir Thomas für sie in London gekauft hatte. Das schickte sich eben so. Während Martha unzufrieden die trostlose Ansammlung von Kleidern im Schrank durchging, wunderte sie sich gar nicht über die schlechte Stimmung des Mädchens. Diese finsteren Kleider konnten aber auch jede Lady komplett deprimieren.
»Das Seidene ist sehr hübsch«, sagte Martha, ohne ihre wahre Ansicht auch nur mit dem Zucken einer Augenbraue zu erkennen zu geben. Cathy war unentschlossen.
»Für eine Salatkrähe vielleicht«, stöhnte sie und schwang ihre Beine über die Bettkante. Martha war ihr bei der Toilette behilflich.
An diesem speziellen Tag mußte besondere Mühe darauf verwendet werden, den Anschein von tiefer Trauer zu erwecken. Es war eine Sitte, daß am ersten Tag des neuen Jahres Freunde, Verwandte und Bekannte kamen und Fragen stellten. Lady Stanhope hatte angeordnet, daß Cathy aufgrund ihres besonderen Zustands im Salon bleiben mußte, um die verschiedenen Besuche zu empfangen. Außerdem mußte Cathy alles tun, um so süß und unschuldig wie möglich zu erscheinen, und das Bedauern in ihrem Gesicht über das so unzeitgemäße Versterben ihres Mannes würde auch von Vorteil sein. Das Mädchen einfach vor dieser traditionellen Fragerei zu verstecken, würde nur noch mehr Anlaß für Geschwätz geben, wie Lady Stanhope Sir Thomas und Cathy scharf mitgeteilt hatte.
Mit Lady Stanhopes Anweisungen im Hinterkopf arrangierte Martha Cathys Haar sorgfältig zu einem strengen Krönchen auf ihrem Kopf. Die
Weitere Kostenlose Bücher