Hale 1 Piraten der Liebe
und schickte nach Jon. Er mußte einen Arzt holen. (Es war zu dieser Zeit Sitte, daß die Babys von den weiblichen Mitgliedern des Haushalts der schwangeren Mutter zur Welt gebracht wurden.) Die Aufforderung war unnötig. Jon, der leichenblaß wegen den Lauten aussah, die aus dem verschlossenen Schlafzimmer drangen, hatte es bereits getan.
Das tiefe Stöhnen war schon schlimm genug, aber Cathys gelegentliche schneidenden Schreie waren schlichtweg unerträglich. Jon brach der kalte Schweiß aus, und Petersham mußte ihn mit Gewalt davon abhalten, nach oben zu rennen und den Raum zu betreten, in dem seine Frau solche Qualen erlitt.
Der alte Doktor Sanderson kam erst mehr als drei Stunden später. Jon brüllte ihn an, wo zum Teufel er geblieben sei. Dieser antwortete lediglich, daß Jon ein Glas Whisky trinken und ansonsten aus dem Weg bleiben solle. Während er die Treppe hochstieg, schüttelte er sein schütteres, weißes Haupt. Er murmelte vor sich hin, daß er lieber zwanzig schwangeren Müttern bei der Geburt helfen würde, als es mit einem werdenden Vater zu tun zu haben. Die Frauen waren gewöhnlich weitaus vernünftiger.
Sehr zu Jons Ärger und zu Petershams größter Verwunderung half der Whisky nur wenig. Jon schüttete riesige Mengen von dem Zeug herunter, aber er war so sehr mit dem beschäftigt, was im oberen Stockwerk geschah, daß die Betäubung nicht wirkte. Als sich Cathys Schreie bis zu einem Punkt steigerten, bei dem er sicher war, sie müsse sterben, konnte er nur noch vor ihrem Zimmer auf und ab rennen und beten. Der Gedanke an ihr Leiden schmerzte ihn zutiefst körperlich und machte einen einzigen Witz aus seinen Versuchen, sich davon zu überzeugen, daß er nur noch kühle Verachtung für sie fühlte. Du dummer Narr, schimpfte er sich selbst, während die Gefühle, die er seit langem tot geglaubt hatte, danach rangen, wieder ans Licht zu kommen. Kannst du sie nach allem, was sie dir angetan hat, noch lieben? >Nein!< schrie sein Kopf zur Antwort. Jede Liebe, die er einmal für sie gefühlt haben mochte, war vollkommen vernichtet! Durch ihre Gemeinheit vernichtet!
Ein weiteres mitleiderregendes Stöhnen aus dem Innern des Schlafzimmers ließ Jon zusammenfahren. Petersham hielt ihm ohne ein Wort ein neues Glas Whisky hin, und Jon kippte es in einem Zug herunter. Es half nichts. Eine neue leuchtende Erkenntnis traf ihn: seine Lust war allein für Cathys Schmerz verantwortlich. Schaudernd und mit unzähligen Selbstvorwürfen erinnerte er sich daran, wie er ihr Flehen das erste Mal auf der >Margarita< einfach ignoriert hatte. Seine hungrige Leidenschaft hatte ihn rastlos weitergetrieben, bis sie ihm ganz gehörte. Und er war natürlich nicht damit zufrieden gewesen, ihr nur die Jungfräulichkeit zu nehmen. O nein! Er hatte es immer und immer wieder getan, bis er am Ende diese schreckliche Qual verursacht hatte, Während er auf ihre Schmerzensschreie horchte, schwor sich, sie nie wieder zu berühren, solange sie lebte. Wenn sie lebte. Er hatte furchtbare Angst, daß er sie vielleicht schon getötet haben könnte.
Den ganzen nächsten Tag über weigerte sich Jon, von der Schlafzimmertür zu weichen. Das Essen, das man ihm brachte, wies er nur mit einem ungeduldigen Kopfschütteln zurück. Petersham war vollkommen entgeistert. Seiner Ansicht nach mußte Kapitän Jon bereits genug Whisky getrunken haben, um selbst das stärkste Pferd umzuwerfen. Aber man merkte ihm den vielen Alkohol kaum an. Der Diener tat sein Bestes, um Jon dazu zu überreden, sich ein wenig auf das Sofa zu legen oder draußen etwas frische Luft zu schnappen. Jon schlug alle diese Vorschläge kurzerhand ab. Er ging ununterbrochen im Flur vor dem Schlafzimmer hin und her, trank den Whisky herunter, als sei er Wasser und machte sich immer mehr Selbstvorwürfe. Jedesmal, wenn Cathy auch nur den leisesten Ton von sich gab, wimmerte er, und wenn sie schrie, wurde er so weiß wie der Tod. Martha, die gelegentlich aus dem Zimmer eilte, um heißes Wasser oder frische Handtücher für Doktor Sanderson zu holen, war über seinen Zustand schockiert. Sie versuchte alles, um ihn aufzuheitern. Der arme Mann schien wirklich fast genauso zu leiden wie Miß Cathy!
Als die Dunkelheit erneut hereinbrach, steigerten sich Cathys Schreie zu einer unerträglichen Lautstärke. Draußen auf dem Flur versteinerte Jon förmlich, und seine Augen klebten voller Angst an der geschlossenen Tür. Schließlich konnte er es nicht mehr ertragen. Wie ein
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