Hale 1 Piraten der Liebe
Wahnsinniger riß er die Tür auf, nur um dann wie angewurzelt mit dem Knauf in der Hand stehenzubleiben. Doktor Sanderson hielt ein kleines, blutverschmiertes Kind an den Fersen hoch und gab ihm gerade einen harten Klaps auf das Hinterteil. Jon stand mit offenem Mund da, als das Kind einen kläglichen Schrei ausstieß, dann lachte Doktor Sanderson und reichte das Baby an Martha weiter. Die lächelte, und über ihre Wangen rollten dicke Tränen. Jons Knie wurden weich. Endlich war die Qual vorüber!
»Cathy?« fragte er heiser. Martha und Doktor Sander-son fuhren erschreckt zu ihm herum, weil sie nicht gehört hatten, wie er hereingekommen war. Einen Moment lang sahen ihre Gesichter ernst und vorwurfsvoll aus, dann verzog sich das alte Gesicht des Doktors zu einem Lächeln.
»Entspannen Sie sich, Kapitän«, sagte Doktor Sanderson trocken. »Wenn man Sie ansieht, muß man sagen, daß Mistreß Hale besser in Form ist.«
»Sie haben einen Sohn, Mister Hale«, warf Martha voller Freude ein und hob das Kind, das in eine Decke eingewickelt war, hoch, damit er es sehen konnte. Jon starrte es verständnislos an und nahm nur undeutlich ein rotes, runzeliges Gesicht und ein paar schwarze Haare wahr. Es sieht aus wie ein roter Indianer, dachte er, und sein Blick wanderte weiter zu seiner Frau.
»Warten Sie, bis wir alles sauber gemacht haben, Mister Jon«, schlug Martha sanft vor, als sie bemerkte, wohin er blickte.
»Ich will sie jetzt sehen«, sagte Jon dickköpfig. Nach einem resignierten Kopfnicken von Doktor Sanderson legte Martha diskret ein paar Tücher über Cathy.
»Cathy?« Jons Stimme war heiser, als er neben das Bett trat und mit schmerzvollen Augen auf ihr schmales, blasses Gesicht sah. Ihr glänzendes Haar war jetzt schweiß-naß und vollkommen durcheinander. Cathys Lippen und Wangen waren praktisch blutleer. Einen entsetzlichen Moment lang hatte Jon furchtbare Angst, daß sie gestorben sein könnte, während sich alle übrigen mit dem Baby beschäftigt hatten. Dann öffneten sich ihre Augen, und sie lächelte schwach, als sie sah, wer dort stand.
»Jon«, murmelte sie, und ihre Augen waren voller Müdigkeit. »Ich hab's geschafft.«
Die Art, in der sie das gesagt hatte, zauberte ein kleines, reuevolles Lächeln auf seine Lippen. Doktor Sanderson hatte recht gehabt. Sie schien, zumindest geistig, in einem besseren Zustand zu sein als er. Erleichtert ergriff er ihre Hand und preßte leidenschaftlich seine Lippen darauf.
»Ich danke dir für den Sohn, meine Liebe«, flüsterte er heiser, und das liebkosende Wort war ihm entschlüpft, bevor er es noch zurückhalten konnte.
Cathy lächelte ihn sanft an, und ihre blauen Augen funkelten. Es war das erste Mal, daß er sie so genannt hatte, seit die Soldaten nach Las Palmas gekommen waren. Sie wünschte sich von ganzem Herzen, mehr davon zu hören. Jon sah schrecklich aus. Seine Augen waren rotunterlaufen, und er hatte sich nicht rasiert. Die Haare standen wild von seinem Kopf ab, als ob er sie sich ohne Unterbrechung gerauft hätte. Zufrieden bemerkte Cathy, daß er sich Sorgen um sie gemacht hatte, entsetzlich große Sorgen. Sie holte tief Atem und wollte ihm antworten, ihn zu weiteren Zärtlichkeiten ermutigen. Da stieg ihr der unverkennbare Geruch von schalem Whisky in die Nase.
»Du stinkst«, murmelte sie überrascht. Dann schloß sie ihre Augen und war schon eingeschlafen.
Jon grinste wie ein Narr und drückte ihr einen neuen innigen Kuß auf die Hand, bevor er sie zart auf die Bettdecke zurücklegte. Er wandte sich vom Bett ab und ging, immer noch grinsend, auf unsicheren Beinen in die Vorhalle. Sobald er dort angekommen war, gaben seine Knie nach, und er brach mit einem lauten Poltern zusammen. Als Doktor Sanderson ihn später entdeckte, schnarchte Jon wie ein Holzfäller. Der Doktor schüttelte den Kopf rief nach Petersham und half ihm, den Kapitän in sein Schlafzimmer zu befördern. Der Whisky hatte seine Wirkung schließlich doch noch, wenn auch mit Verspätung, getan.
Jon schlief die restliche Nacht über wie ein Stein und wachte erst spät am nächsten Tag auf. Als der hungrige Schrei eines Kindes durch seinen benebelten Geist drang, kam er wieder zu sich. Er schüttelte ein wenig den Kopf hin und her, um wieder klar zu werden, und griff nach dem Wasserkrug, um den schalen Geschmack aus seinem Mund zu waschen. Was hatte ein Baby in Woodham zu suchen? Dann erinnerte er sich. Der Schrei mußte von seinem Sohn gekommen sein! Warum sah denn
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