Hale 1 Piraten der Liebe
Harry spürte, wie aus seinem eigenen Gesicht jede Farbe verschwand. Im stillen dankte er Gott dafür, daß Jon noch nicht wieder im Besitz seiner vollen Kräfte war.
Wie auf einem geisterhaften Gemälde standen die drei eine ganze Weile eingefroren da. Cathy fand schließlich als erste wieder zu sich zurück. Sie lief hinüber zu Jon und ergriff seinen Arm.
»Es ist wirklich nicht so, wie es aussieht«, sagte sie ihm eindringlich. Diese eiserne Ruhe in seinem Gesicht und diese schrecklichen Augen jagten ihr mehr Angst ein, als jeder Wutanfall es vermocht hätte. »Jon, du mußt mir glauben! Ich kann das erklären, Liebster...!«
Als Jon Cathy jetzt ansah, waren seine Augen wie glühende Kohlen aus der Hölle selbst. Das liebevolle Wort, das sie ihm mit ihrer zarten, falschen Stimme eben gesagt hatte, traf ihn bis ins Innerste. Der Schmerz war so intensiv, daß er ihn krank machte.
»Du verlogene, kleine Hure!« sagte er sanft.
Der Arm, den sie ergriffen hatte, stieß sie brutal zurück, und Cathy taumelte, bevor sie hart auf die Deckplanken fiel. Sie schrie laut auf. Sofort wollte Harry ihr zu Hilfe eilen. Jon schnitt ihm jedoch den Weg ab.
»Rühr sie nicht an, du verdammter Bastard«, preßte Jon zwischen den Zähnen hervor. Seine Stimme war eiskalt, und seine Hände spannten sich bereits in der Erwartung auf Harrys Kehle. Harry fuhr zurück. Normalerweise hätte er keine Chance gegen Jon gehabt, aber bei dem geschwächten Zustand des Kapitäns... Wer weiß, dachte er. Der Haß konnte sogar den zerbrechlichsten Wesen unglaubliche Kräfte verleihen. Jon sah jedenfalls aus, als sei er imstande, ihn in Stücke zu reißen. Aber Cathy brauchte ihn! Was würde Jon ihr wohl antun, wenn er mit ihm fertig war? Er wagte gar nicht, daran zu denken.
Jon tat den nächsten Schritt. Er näherte sich Harry langsam und drohend. Die Kälte in seinem Blick ließ Harry vor ihm zurückweichen. Wenn jemals der Tod aus den Augen eines Mannes gesprochen hatte, dann war das jetzt bei Jon der Fall.
Jon zog das lange Messer aus seinem Gürtel. Seine Fin ger streichelten beinahe zärtlich über die fein geschliffene Klinge. Harry war mittlerweile an der Reling angekommen und konnte nicht weiter. Verzweifelt blickte er sich nach einer Waffe um. Da war nichts! Er spürte, wie die Angst seine Kehle zuschnürte.
Cathy, die alles beobachtete, sprang mit einem unartikulierten Angstschrei auf ihre Füße. Sie rannte hinüber zu Jon und bekam den Arm, mit dem er das Messer hielt, zu fassen. Ihr Griff ließ sich nicht abschütteln.
»Jon, das kannst du nicht tun!« schrie sie ihn außer sich an. »Harry hat nichts getan! Du darfst ihn nicht töten! Ich war es! Ich sage dir, ich war es!«
Diese Lüge war alles, was ihr noch einfiel, um Harrys Leben zu retten. Ein Kuß war es nicht wert, einen Mann zu töten! Jon brauchte nur etwas Zeit, um über seine wilde Wut hinwegzukommen. Dann würde er ihr zustimmen, das wußte sie. Aber in der Zwischenzeit mußte er daran gehindert werden, etwas zu tun, was er sein ganzes Leben lang bereuen würde.
Mit ihren Worten hatte sie es tatsächlich geschafft, Jons Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er starrte sie an, erst voller Verwunderung, dann voller Wut. Dieser weiche, zitternde Mund hatte ihn noch vor weniger als einer Stunde verrückt gemacht... Jetzt machte er ihn auf eine ganz andere Weise verrückt! Seine Augen blitzten, und er ergriff ihre Haare. Cathy schnappte nach Luft, als ihr Kopf plötzlich zurückgerissen wurde. Einen Moment lang befürchtete sie, daß ihr Hals verrenkt wäre. Jon hielt sie brutal fest und seine große Hand fügte ihr mit voller Absicht Schmerzen zu. Er zog an den seidigen Strähnen und zwang sie, ihren Kopf an seine Schulter zu lehnen und ihm ins Gesicht zu sehen. Cathy versuchte nicht, sich zu wehren. Trotz seiner Wut glaubte sie nicht, daß er sie wirklich verletzen würde. Aber wenn sie ihm jetzt Widerstand leistete, würde ihn das vielleicht zu einer Affekthandlung verleiten.
Die harte Linie seines Mundes legte sich auf ihre Lippen, drängte sie auseinander - mit dem Ziel, sie zu verletzen. Sein Kuß sollte sie beschmutzen und erniedrigen. Er wollte ihr damit in die Erinnerung einprägen, daß sie ganz und gar sein Besitz war und nichts anderes. Cathy zitterte unter dieser Aussage, aber statt sich zu wehren, antwortete sie ihm mit der ganzen Süße ihres Mundes. Als er sie losließ, war ein winziger Teil der Wut aus seinem Blick verschwunden.
»Sie gehört mir! «
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