Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
die sich hier zahlreich einfinden und die Gegend mit ihren freundlichen Melodien erfreuen. Um mein Stretchingprogramm durchlaufen zu können, suche ich nach einem möglichst trockenen Flecken Erde, aber der Untergrund scheint durchwegs triefend zu sein. Nun gut, wenn es überall nass ist, dann kann ich ebenso gut hier bleiben - so kann ich wenigstens auf den Teich hinabblicken und mich am Panorama erfreuen.
O, nun trällert meine heimliche Favoritin, Sandra Pires, ein Liedchen (My arms are open wide )! Ich kann der Versuchung mitzusingen einfach nicht widerstehen. Ich weiß, mein Gesang ist wirklich grässlich, aber hier - fernab der Zivilisation - kann ich es getrost wagen, zumindest leise! Aber wenn ich schon der Umwelt zuliebe leise singe, dann muss ich wenigstens die Lautstärke variieren und auf volle Power gehen! O, es dröhnt! So, jetzt geht’s! Ich bin bereit. Ich konzentriere mich vorerst auf die Haltungsübungen, die ich jede Woche in der Spieltanzschule praktiziere. Ich recke und strecke dabei meine Wirbelsäule zu allen erdenklichen Seiten. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und wachse mit meinen Armen gen Himmel. Bauchmuskulatur ist angespannt, Pobacken sind zusammengezwickt und die Brust ist auffordernd herausgereckt – ich verweile kurz so und lasse danach die Arme Richtung Boden gleiten. An dieser Stelle kommt nun mein Handicap ins Spiel: Ich bekomme nämlich meine Fingerspitzen nur in die Nähe des Bodens, wenn ich meine Beine leicht grätsche – ich weiß, das ist geschummelt, aber entweder so oder meine Knie sind nicht durchgestreckt (immerhin tippe ich so einigermaßen gekonnt mit den Fingerspitzen auf die feuchte Erde). Ich genieße den kurzen Augenblick, das leichte Ziehen der Muskeln, die herrliche Luft, die strahlende Sonne und das milde Klima.
»My arms are open wide, does anybody miss me«, stoße ich keuchend hervor (wegen der Anstrengung der Übung ist mein Zwerchfell leicht blockiert), bevor mich irgendetwas am Hinterteil trifft und nach vorn schiebt.
Ich verliere rasch das Gleichgewicht und kullere erschrocken die Böschung hinab. Die Klänge der Sandra Pires verlieren sich anfänglich in meinem Geschrei und Sekunden später würgt sich der iPod selbst ab! Ich komme im piksigen Gestrüpp zum Erliegen. Meine Sonnenbrille beschirmt meine Augenlider nur noch halbseitig, die Knöpfchenkopfhörer hängen mir alarmiert aus den Ohren und mein Haar ist komplett zersaust, und mit den Blättern und Gräsern der Vorsaison garniert, von meiner Kleidung will ich erst gar nicht sprechen.
Was war das? Ein Gewaltverbrecher? Mitten am Tag, in einem belebten Park! Nun, die Nachrichten sind voll mit solch perversen Typen.
(Zum Glück beginnt der Selbstverteidigungskurs bald.) Ich will mich rasch aufrichten und in Gefechtsposition gehen, aber meine Haare haben sich im Geäst verfangen. Meine Hände rasten sich einstweilen in einer natürlichen Schlammpackung aus. Oh, da kommt mir eine rettende Idee: Ich werde den näherkommenden Wüstling ablenken und ihn kräftig mit den feuchten Erdmassen bombardieren. Derweilen kann ich um Hilfe schreien. Irgendjemand wird wohl auf mich und mein Gebrüll aufmerksam werden, so weit ab vom Weg bin ich nun auch wieder nicht.
Igitt! Triebtäter hat sich an mich herangepirscht (ich blicke direkt in die Sonne und muss unwillkürlich gegen die Helligkeit anblinzeln) und schlappert jetzt mein Gesicht mit schroffen Bimsstein ab! Ekelhaft!
»Garfield!«, ertönt es in meiner Nähe.
(Verdammt! Wie hoch sind die Chancen, dass es mehrere hundeartige Garfields gibt, die ebenso wie ihre Herrchen kein Benehmen haben und ständig auf sämtliche Hinterteile grapschen? Gleich null, oder? Verdammt, verdammt!!! Na, der Idiot hat mir gerade noch gefehlt!)
»Nein! Aus, Garfield! Lass doch das Fräulein in Ruhe! O Gott, das tut mir wirklich leid! Sind Sie verletzt? Garfield, aus jetzt!«
Ich vergesse zornerfüllt meine schlammbesudelte Hand und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Shit! Die feuchte Masse bildet rasch ein spärliches Rinnsal über meine Wange. Ich sehe jetzt vermutlich wie ein Indianermädchen auf dem Kriegspfad aus.
(Nun, genau genommen bin ich ja auch auf dem Kriegspfad mit diesem Rhinozeros ... Obwohl mich derzeitig bestimmt auch das Bundesheer sofort verpflichten würde, denn zusätzlich zu meinem beschmierten Antlitz hat mein grüner Jogger schon unverkennbar deren Tarnfarbe angenommen.)
»Also, Ihr Garfield ist noch immer so ungestüm wie vor
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