Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
Die wilde Hilde kurzfristig aus den Augen verliert, dann muss man nur auf jene Fußgänger achten, die gerade das Geschäft, das sie mit ihrem Besuch beehrt, passieren, denn zumeist finden sich davor schnell Schaulustige ein.
Hilde hat sich mittlerweile zur Bank durchgekämpft. In unserer Straße ist sie gut bekannt und wir haben uns mittlerweile an ihre Schreieskapaden gewöhnt. Anders verhält sich die Sache allerdings mit unseren Gästen und den Touristen. Diese schießen zumeist erschrocken aus ihren Sitzen empor und schauen sich verängstigt nach der wirren Person um.
Wenn sie bei uns auftaucht, gilt die Divise: »Die wilde Hilde, schnell vom Bilde!«
Meist ist das leichter gesagt als getan, denn diese Person ist wahnsinnig schnell auf den Beinen. Husch ... und schon läuft sie einem im Sprinttempo davon. (Hildchen hat mich das letzte Mal ganz schön ins Schwitzen gebracht. – Positiver Aspekt: So habe ich immerhin ein wenig Sport betrieben.)
Jetzt hat sie die Bank hinter sich gelassen und steuert gezielt auf das Tabakgeschäft zu. Na, wenn sie in diesem Affentempo weiterrumort, dann können wir bald mit ihrem Besuch rechnen.
Mittlerweile ist eine halbe Stunde verstrichen und Hilde ist noch nicht bei uns eingetroffen. Vielleicht hat sie unser Hotel ja übersehen?
Eine gute Stunde später bin ich gerade in einen Tratsch mit Maria aus dem Ausschank vertieft, als mir Marlene, meine zugeteilte Speisenträgerin, bestürzt entgegenläuft.
»Da draußen steht eine Frau und sie brüllt entsetzlich herum«, erklärt sie mir aufgebracht.
Ich blicke mich rasch um. Mal sehen, wer von uns Chefs im Café verweilt. Elvira führt gerade eine amüsante Unterredung mit unserem Chefkoch in der Küche, Bettina krebst in der Patisserie, also auch in der Küche herum, Iris stapelt gerade gewissenhaft die schmutzigen Teller in der Abwasch und Isabella, unsere zweite Speisenträgerin, poliert neben mir die Gläser. Fazit: Es ist niemand im unmittelbaren Coffee-Shop.
»Ich komme schon!«, rufe ich Marlene zu.
Wir schreiten zu zweit hinaus ins Jagdrevier. Aha, ich habe meine Beute sofort erspäht und visiere die schreiende Hilde, die mir gerade den Rücken zukehrt, schnurstracks an. Ja, was zum Teufel macht sie denn da! Trinkt Hilde doch tatsächlich den frisch gepressten Karotten-Apfelsaft von Herrn Pogasnik aus! Luder! Na, warte! Dich kauf’ ich mir!
»Dank dir für die Einladung!«, jault sie ihrem Fruchtsaftopfer frech zu.
Zum Glück kennt Herr Pogasnik die Marotten der Wilden Hilde!
»Nichts zu danken«, erwidert er amüsiert.
Die fremdländischen Gäste blicken sich allerdings schon etwas weniger vergnügt um.
»So, jetzt bist du gestärkt, jetzt kannst du getrost wieder aufbrechen«, flüstere ich ihr ins Ohr und packe sie dabei unsanft am Arm.
»Ihr seid ja alle nicht von dieser Welt! Aber mich bekommt ihr nicht!«, schreit sie mir ins Trommelfell.
»Wir wollen dich heute auch nicht mehr«, erwidere ich sanftmütig.
»Elvis ist auch einer von euch! Er ist nicht tot! Ich hab’ ihn gesehen! Alles nur Schein!«
»Ja, wir haben auch schon Karten für sein Konzert.«
»Ihr steckt ja alle unter einer Decke!«, brüllt sie mir zu.
Ja, da hat sie ausnahmsweise recht, denn alle wollen Hilde loswerden.
Als wir am Ausgang angekommen sind, weise ich sie in die richtige Richtung, schließe hinter ihr die schwere Fluchttür und die Schreierei hat augenblicklich ein Ende.
Eine weitere Schrulle von Hildchen ist, dass sie jedem in der Straße nur einen Besuch pro Tag zumutet. Gott und Nerven sei Dank!
Ich mustere danach die erschrockene Gästeschicht. Tja, jetzt sind alle wieder putzmunter. Ich selbst ordere gleich im Anschluss an die gelungene Aufführung einen großen Beruhigungsfruchtsaft für Herrn Pogasnik.
Der Coffee-Shop ist heute gut besucht. Es herrscht rege Betriebsamkeit, ohne dass man sich dabei in einer unüberschaubaren Hetze wiederfindet.
Marlene sorgt zügig für das Service der Speisen, währenddessen ich mich um die Bestellungsaufnahme, um das Getränkeservice und um die Begleichung der offenen Rechnungen kümmere. Wir sind ein eingespieltes Team und arbeiten Hand in Hand.
»Ich muss dringend auf die Toilette«, erklärt mir eine bereits zappelnde Marlene, kurz nach der aufregenden Hilde-Aktion .
»Welche Essen sind noch aus?«
»Nur mehr Tisch dreiundzwanzig«, antwortet sie mir.
»Gut, dann beeil dich«, erwidere ich und starte daraufhin gleich in die Küche, um nach dem Rechten zu
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