Hallo, Fräulein!: Winterzauber (German Edition)
Schultern.
Oder sollte ich es allen gestehen:
Meine liebe Mutter! Liebe Verwandtschaft! Im kommenden Jahr werde ich mich verheiraten und zu Weihnachten wird mir ein himmlisches, pflegeleichtes Kindlein am Rockzipfel hängen und ich werde euch einen aufrichtigen, humorvollen und hinreißenden Ehemann präsentieren.
Francesco, ich und unser Zeuge der Liebe werden in einer ansehnlichen Familiendroschke vorfahren und danach werde ich mit meiner Happy Family aussteigen und euch, die ihr mit offenen Mäulern dastehen werdet, werde ich mit einem Ich weiß, ich bin spät dran, aber das Warten hat sich für mich allzeit gelohnt – Blick bestrafen! Ätsch! Wer zuletzt lacht, lacht doch noch am besten!
»Ach, Kopf hoch! Es wird sich schon irgendwann der Richtige finden!« (Wenn sie wüsste, wenn sie wüsste! In dreihundertfünfundsechzig Tagen werde ich hier eintrudeln und alle - vor allem die weiblichen Heuchler - werden mich neidvoll anstarren. Ach, Francesco ist aber auch wirklich äußerst attraktiv ... und er ist mein, mein, mein! Er weiß nur noch nichts davon.
PS: Da fällt mir die Geschichte mit der natürlichen Geburt wieder ein! Na, dann lasse ich eben die Vorschau auf ein Kind in meinen derzeitigen Tagträumen noch weg! Ich bin gegenwärtig ohnehin nicht erpicht darauf. Ich sollte mich aber trotzdem gelegentlich über narkotisierende Kaiserschnittgeburten informieren. Sicher ist sicher!)
»Und, wie geht’s euch so?«, will ich wissen.
»Deinen Vater und Onkel Toni haben wir seit Tagen nicht mehr gesehen. Hast du dir unsere Gartenlaube angesehen?«
»Tja, den beiden fällt jedes Jahr eine neue Dummheit ein«, erwidere ich stirnrunzelnd.
»Liebes, falls dir jemand ernsthaft zu erklären versucht, dass Männer im Alter vernünftiger werden, dann gib demjenigen gleich einen Tritt in den Allerwertesten!« Sie schnauft bei ihrem letzten Satz hörbar aus. »So, und nun bringen wir mal deine Sachen hoch.«
»Wo darf ich denn dieses Jahr logieren?«, frage ich nach.
»Ich habe im Atelier eine aufblasbare Riesenmatratze aufgebaut.«
»Ich muss demnach mein Lager nicht mit irgendwelchen Kindern teilen?«
»Nein, heuer bleibt dir das erspart«, gibt sie grinsend zurück und merkt noch an: »Ich hab’ das Atelier kräftig gelüftet. Es könnte sein, dass es oben momentan noch etwas kalt ist, aber das wird sich bestimmt im Laufe der nächsten Stunden ändern.«
»Werde ich also nicht sofort ölfarbenhigh?«
Uuuuh ... es herrscht eine Eiseskälte im Atelier. Ich bibbere augenblicklich am ganzen Körper. In der Nähe meines eilends eingerichteten Schlafgestells entdecke ich einen unscheinbaren Heizstrahler, der den riesigen Raum, bis zu meiner Abreise in zwei Tagen, zweifellos erwärmen wird.
Zu dumm, dass mein futuristischer Gedankengang noch nicht auf das diesjährige Weihnachtsfest vorverlegt werden kann. Ich bräuchte für die Dauer von zwei Nächten dringend einen zuvorkommenden, anschmiegsamen Mann, der mich versteht und der mir vor allem meine eiskalten Füße warm rubbelt. (Ich weiß, das klingt ein bisschen egoistisch, aber ich würde mich selbstverständlich uneigennützig revanchieren!)
Nun, der Vorteil des Ateliers ist, dass ich hier allein nächtigen kann und der entschiedene Nachteil ist, dass das kunstgerechte Studio eine wahnsinnig breite Fensterfront hat. Ich werde demnach entweder wegen der vorherrschenden Kälte oder wegen der installierten Weihnachtsbeleuchtung kein Auge zutun.
Das familiäre Weihnachtsgaladinner beginnt pünktlich. Die Kinder sind mittlerweile dermaßen aufgeregt, dass man sie eigentlich an die Stühle anketten sollte. Die Kleinsten löchern ihre Eltern mit »Wann kommt
denn endlich das Christkind?« und ihre Fragen werden mit »Bald, ihr müsst aufmerksam die Ohren spitzen, vielleicht könnt ihr es dann hören«
beantwortet. Will man - auf diese Aussage hin - ein Gesprächsthema anklicken, dann wird man seitens der Kleinen sofort mit einem mahnenden schhh ... bedacht!
Nun gut, man sollte ohnehin beim Essen nicht sprechen. Die aufgesetzten Freundlichkeiten, kombiniert mit Schüsseln voller Rotkraut, Kartoffelknödeln, Brokkoliröschen und mitgebratenen Maroni machen daraufhin die Runde.
Die freudige Bescherung geht wenig später einher mit kindlichen Gesangsstücken, duftenden Weihrauchsträngen und klirrenden Gläsern. Die erwartungsvollen, glasigen Kinderaugen betrachten mit naivem Staunen den geschmückten Weihnachtsbaum und warten begierig auf
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